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Wenn man sich trotz Beziehung plötzlich in einen anderen verliebt und die Gedanken nur noch um die andere Person kreisen, stehen Paare vor einer ganz neuen Herausforderung.
Auch wenn langjährige Beziehungen noch so perfekt laufen: Es ist nicht ausgeschlossen, dass man einer Person begegnet, für die man sich begeistern kann. Das Ganze mag zwar monogame Beziehungen auf die Probe stellen, aber kann zu mehr Nähe und Commitment führen. Neben verwirrenden Gefühlen, die während dieses Prozesses aufkommen, kann die Schwärmerei für eine dritte Person tatsächlich für mehr Tiefe sorgen, weiß die Psychotherapeutin Katja Ternonig. „Das kann ein Turbo für die Beziehung sein – in die ein oder andere Richtung.“ Entweder löst diese Situation eine Trennung aus oder die Beziehung gelangt auf eine höhere Ebene.
Bewährungsprobe
Die Person, für die sich ein Part fasziniert, bringe oft genau das mit, was in der Beziehung nicht gelebt werde, sagt Katja Ternonig. Tiefsinnige Gespräche, Intimität, Leichtigkeit – all das können Themen sein, die beleuchtet werden. „Von der anfänglichen Schwärmerei für jemand anderen bis hin zu der Frage: ‚Wie steht es eigentlich um meine Beziehung?‘ durchlaufen Paare einen Prozess“, erklärt die Paartherapeutin. Wenn eine Beziehung stabil ist und alle Bedürfnisse geäußert werden können, läuft man nicht Gefahr, gleich fremdzugehen.
„Man kann sich durchaus für jemanden begeistern, ohne dass die eigene Beziehung auf der Kippe steht. Das Ganze dient dann viel mehr als Inspiration für eine tiefere Bindung und um zu lernen, seine wahren Bedürfnisse zu artikulieren.“ In einer gesunden Partnerschaft kann sich der eine Part auch für den anderen freuen, wenn dieser von einer Person außerhalb der Beziehung Bewunderung erfährt, so die Paartherapeutin. „Das funktioniert meist nur, wenn in der Beziehung ehrlich über Bedürfnisse gesprochen wird. Dann ist es auch okay, dass es Menschen gibt, mit denen wir uns austauschen und die uns daran erinnern, was uns guttut oder was im Laufe der Beziehung zu wenig Raum bekommen hat.“
Begegnung
So oder so ähnlich ging es Jana, die mit ihrem Ehemann seit sechs Jahren verheiratet ist. Ein neuer Arbeitskollege beeindruckte die 33-Jährige im Moment, als er zur Tür hereinkam: „Manchmal treffe ich Personen, die ich auf Anhieb interessant finde – das ist auch bei Frauen so, obwohl ich heterosexuell bin“, erzählt sie. War sie vom Liebesblitz getroffen? „Überhaupt nicht“, sagt sie. „Wenn mich jemand interessiert, suche ich mit dieser Person das Gespräch, um zu schauen, wie sie so tickt.“
Anfängliche Schwärmerei
Nachdem Jana die Einschulung für ihren Kollegen übernommen hat, ergaben sich immer öfter Gespräche – auch über Privates. „Ich bin eine Person, die Leute gerne knackt. Er saß oft alleine im Pausenraum, und ich setzte mich zu ihm, um mit ihm Kaffee zu trinken.“ Auf intellektueller Ebene harmonierten die beiden sofort. „Mir hat seine Sichtweise gefallen. Und ich konnte ihm auch immer wieder Dinge zeigen, die er noch nicht kannte. Das hat sich also gut ergänzt.“ Die Arbeit im sozialen Bereich bringt es mit sich, mit Kolleg:innen über Gefühle zu sprechen. Dabei stehen natürlich auch emotionalere Themen auf der Agenda: „Wir redeten auch über unsere Beziehung zu unseren Eltern. Nach einem dieser Gespräche war ich extrem verwirrt, und ich fragte mich: Was ist los mit mir, warum bin ich so fühlig?“, berichtet Jana.
Man fühlt sich sehr einsam mit diesen Gefühlen, weil sie absolut tabu sind.
Jana
„Ich dachte oft an unsere Konversationen und wollte mich immer weiter mit ihm unterhalten. Dann haben sich die Puzzleteile plötzlich zusammengefügt. Es stand auf einmal die Frage im Raum, ob ich mehr fühle als nur Freundschaft.“
Verliebt oder nur Freunde?
Plötzlich wurde es im Studium stressig – eine Bewerbung für den nächsten Abschnitt stand an, was die 33-Jährige nervös werden ließ: „Veränderungen lösen bei mir immer Zweifel und sehr viel Stress aus. Ich war emotional am Limit und vertraute meinem Ehemann an, dass mir alles zu viel wird.“ Im Zuge dieses Gesprächs gestand sie ihm auch die Gefühle für ihren Kollegen: „Ich erklärte ihm unter Tränen, dass ich glaube, mich in meinen Kollegen verknallt zu haben. Ich fand das alles sehr verwirrend.“ Im gleichen Atemzug versicherte Jana ihrem Ehemann, dass nichts zwischen ihr und ihrem Kollegen passiert sei.
Geständnis
„Mein Ehemann hat sehr liebevoll reagiert und beruhigte mich. Er sagte, dass das schon mal passieren könne.“ Das Paar versuchte, Janas Gefühle gemeinsam einzuordnen. Fehlende männliche Freunde könnten die überschwängliche Begeisterung für ihren Kollegen hervorgerufen haben, lautete die Conclusio: „Das ist ein großes Thema für mich, da ich gern welche hätte. Meinen Freundinnen fühle ich mich emotional auch sehr verbunden. Gut möglich, dass ich diese Gefühle nicht klar auseinanderhalten konnte. Auf menschlicher Ebene hat es einfach klick gemacht.“ Jana versicherte ihrem Partner immer wieder, dass sie ihn liebt: „Er war sehr gechillt und sagte nur, dass es okay ist. Er freut sich immer für mich, wenn ich jemanden kennenlerne, den ich mag.“
Klarheit
Nach der Anmeldephase ging es Jana wieder besser, und sie versuchte erneut, mit ihrem Ehemann zu sprechen: „Mir wurde klar, dass diese Verliebtheit doch eher der Beginn einer Freundschaft war – das wollte ich nochmal klarstellen. Ich weiß aber nicht, ob mir mein Ehemann geglaubt hat.“
Um sich ein wenig abzugrenzen, überlegte Jana auch, Distanz zu ihrem Arbeitskollegen zu schaffen: „Ich habe sehr lange darüber nachgedacht, ob es okay ist, sich weiter mit ihm zu treffen. Mir war wichtig, diese Gefühle auf keinen Fall weiter zu befeuern.“ Mittlerweile ist sich Jana aber ganz sicher, dass diese Gefühle rein platonischer Natur sind. „Wir arbeiten mittlerweile nicht mehr zusammen, treffen uns aber privat, und ich gebe ihm sogar Datingtipps“, erzählt sie.
„Für mich war von Anfang an klar, dass ich nicht untreu sein möchte. Nichts und niemand kann meinen Ehemann ersetzen, wir sind beste Freunde – und deshalb wollte ich es ihm auch unbedingt erzählen.“ Trotzdem sei es anstrengend gewesen, mit diesen Gefühlen zu leben. „Sollte mir die Freundschaft zu meinem Kollegen nicht gelingen und ich mich schlecht fühlen, kann ich noch immer den Kontakt abbrechen.
Nur, wenn wir mit uns verbunden sind, können wir auch in einer Partnerschaft ehrlich miteinander verbunden sein.
Katja
Dieser Gedanke gibt mir Sicherheit.“ Sexuell hingezogen fühlte sie sich zu ihrem Kollegen übrigens nie. Auch von seiner Seite kamen keine Annäherungsversuche: „Rückblickend gesehen waren viele dieser Gefühle auch der Mühe geschuldet, einem potenziellen Freund gefallen zu wollen. Er hat mir vor kurzem mitgeteilt, dass er sehr dankbar für unsere Freundschaft ist. Seitdem spüre ich nicht mehr den Drang, ihn von mir begeistern zu wollen. Ich muss ihn nicht mehr knacken.“
Einordnen
Die Paartherapeutin Katja Ternonig erklärt, wie wichtig Pausen in diesen Situationen sind, um sie mit genügend Abstand beurteilen zu können. „Wenn man zur Ruhe kommt und sich etwas entspannt, kann man viel besser spüren, was wirklich gerade los ist. Was hilfreich sein kann, ist zu schauen, was man gerade braucht, um zu sich zu kommen“, so ihre Empfehlung.
„Wenn wir mit uns verbunden sind, spüren wir am besten, was das Richtige für uns ist. Situationen dieser Art dienen dazu, diese Verbindung mit uns wieder zu fördern.“
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