Ein Psychothriller in Retz

Das Festival Retz präsentiert ein Meisterwerk des italienischen Barockkomponisten Leonardo Leo

5 Min.

Stadtpfarrkirche Retz © Cornelia Wurst

Mit „La Morte di Abele“, der Geschichte von „Kain und Abel“, präsentiert das Festival Retz ein Meisterwerk des italienischen Barockkomponisten Leonardo Leo. Die österreichische Erstaufführung und weltweit erste szenische Realisierung leuchtet in die Seelen alttestamentarischer Archetypen – Schuld und Sühne, damals wie heute.

Es wird ein überaus spannendes Projekt, wenn ein internationales Kreativteam ein multimediales Bühnenkonzept in der Stadtpfarrkirche umsetzt. Mit dem Dirigenten Luca De Marchi konnte ein ausgewiesener Barockexperte, der in renommierten Opernhäusern auf der ganzen Welt zu Gast ist, als musikalischer Leiter gewonnen werden. Regie führt der Münchner Sebastian Hirn, der in seinen Arbeiten herkömmliche Theaterkonventionen sprengt und eine Opernaufführung zum sinnlichen Gesamtkunstwerk macht, bei dem Musik und szenische Aktion zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen. Premiere ist am 5. Juli 2024.

NICOLE AEBERSOLD Die oscarnominierte Filmemacherin bindet die Bewohner des Retzer Landes ein. © Cornelia Wurst

Geballte Frauenpower

Das Festival Retz 2024 steht auch im Zeichen besonders kreativer Frauen, die mit Leidenschaft und Engagement ihr Know-how einbringen. So wird die gefeierte Sopranistin mit dem Schwerpunkt Barockmusik, Eldrid Gorset aus Norwegen, erstmals in Österreich zu bewundern sein. Ein „Heimspiel“ hingegen wird es für die virtuose Mezzosopranistin mit Retzer Wurzeln, Cornelia Sonnleithner. Für Kostüme und Bühnenbild zeichnet Constanze Knapp verantwortlich, die – bevor sie sich ganz diesem Metier widmete – in Paris, Italien und Großbritannien für Dame Vivienne Westwood arbeitete.

Nicht zuletzt aber hat die Schweizer Filmemacherin Nicole Aebersold, die 2019 für ihren Animationsstreifen „Rumours“ für den Oscar nominiert war, in Zusammenarbeit mit dem Dirigenten und dem Regisseur eine neue Präsentationsform entwickelt, die mit den Mitteln der Digitalität die barocke Architektur der Stadtpfarrkirche interaktiv mit Live-Aktion und Musik verschränkt. Nicole Aebersold stellte für ihre Mitwirkung jedoch eine Bedingung, nämlich vor Ort mit den Menschen der Region zu drehen. Auf eine öffentliche Ausschreibung meldeten sich dann knapp 100 Bürgerinnen und Bürger, vom Kleinkind bis zu 85 Jahren, die über mehrere Tage von früh bis spät zwischen Retz und Hardegg, von Schauplatz zu Schauplatz, zogen und für viel Aufsehen sorgten.

CONSTANZE KNAPP Kostüme und Bühnenbild © Thomas Huber

Frau Aebersold, warum war es Ihnen wichtig, die Menschen der Region einzubinden? 

N. A.: Das Festival Retz hat ein Motto: „In Retz – aus Retz – für Retz“. Mir war wichtig, den Film für die Oper mit den Menschen aus der Region und vor Ort zu drehen. Kunst ist keine intellektuelle Blase. Ein Projekt entsteht immer im Austausch, unter konkreten Bedingungen an einem konkreten Ort. Ich mag das Alltägliche und es interessiert mich, wie Menschen leben, wie sie denken. Das Retzer Land ist eine faszinierende Region. Die Kultivierung eines Naturproduktes prägt die Menschen und ihre Lebensweise. Kunst und Kultur sind ein fester Bestandteil der hiesigen Mentalität.

Ich arbeite hier in Retz an der Realisierung einer Kirchenoper mit. Die Präsentationsform zielt auf die totale Verschränkung von Musik, analoger Szene und Film ab. Das ist vollkommen neu. Es ist für mich klar, dass ich in dem Film nicht irgendeine prominente Metropole inszeniere, sondern den Ort, in dem das stattfindet und dessen Menschen diesen künstlerischen Schritt ermöglichen. Die Menschen hier haben es durch ihre Offenheit und ihre Hilfsbereitschaft möglich gemacht, dass eine solche Produktion entstehen kann.

ELDRID GORSET Gefeierte Sopranistin aus Norwegen © Martin Dalen

Sie haben für die Tragödie von Kain und Abel, dem ersten Mord der Menschheitsgeschichte, auch in Wohnzimmern, Küchen, Werkstätten und Ateliers gedreht. Stehen diese privaten Orte der Einheimischen auch für mögliche Orte des „Sündenfalls“? 

N. A.: Das Werk endet mit dem eindringlichen Schlusschor: Wir sehen die Schuld des Brudermörders und übersehen dabei, dass wir alle Kain in uns tragen. Kain und Abel ist mehr als eine alttestamentarische Parabel. Diese Geschichte kann überall stattfinden und sie findet tausendfach statt. Selbstverständlich kann jeder Raum an jedem Ort, zu jeder Zeit zu einem Tatort werden – oder eben nicht! Das ist die Verantwortung, die wir als Menschen haben. An jedem Ort und zu jeder Zeit.

Frau Sonnleithner, Sie singen die Partie der Eva, die mitansehen muss, wie sich ihr Sohn Kain mehr und mehr radikalisiert. Ein Thema, welches nahezu aktuell erscheint, oder?

C. S.: Tatsächlich ist dieses Thema leider sehr aktuell. Es wird immer schlimmer mit Radikalisierungen in verschiedensten Bereichen. Früher hatte man wahrscheinlich hauptsächlich seine Eltern als Vorbild. Die Kinder haben übernommen, was sie von ihren Eltern vorgelebt bekommen haben. Bei Kain und Abel gab es niemand anderen außer deren Eltern Adam und Eva.

In der heutigen Zeit ist es viel komplexer, da es auf diversen Social-Media-Kanälen entsprechende Beiträge und Videos gibt und ein Algorithmus dann immer mehr davon zeigt, je mehr man konsumiert. Ein sehr gefährliches und leider nur schwer kontrollierbares System. Es ist traurig, dass ein Teil der Menschheit nicht gelernt hat, dass Gewalt keine Lösung ist.

CORNELIA SONNLEITHNER Die Mezzospranistin singt die Partei der Eva. © Agnes Stadlmann

Sie haben eine besondere Beziehung zu Retz, mit welchen Gefühlen kommen Sie zu diesem „Heimspiel“?

C. S.: Vor einigen Jahren lernte ich meinen Mann, den Kleinriedenthaler Tenor Martin Mairinger, durch unseren gemeinsamen Beruf in Wien kennen. So ist mir das Weinviertel, vor allem das Retzer Land, so sehr ans Herz gewachsen, dass wir in der Weinstadt auch geheiratet haben. Dadurch ist es für mich etwas Wunderschönes, an diesem besonderen Ort beim Festival Retz nun auch singen zu dürfen, und ich freue mich sehr darauf, die Partie der Eva darzustellen.

Infos und Karten für die Kirchenoper und das Rahmenprogramm: www.festivalretz.at.

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