Talkrunde: Gruppenfoto mit Viktória Kery-Erdélyi, Sandra Gollubits, Elena, Hannah, Karin Behringer-Pfann und Nicole Schlaffer

Mein Körper, meine Entscheidung?!

Wir diskutieren, was das mit uns allen (!) zu tun hat, warum wir Widerstand leisten müssen und wie frei wir in unseren Entscheidungen tatsächlich sind.

17 Min.

Talk bei „Der Lichtblick“ in Neusiedl am See. Viktória Kery-Erdélyi, Sandra Gollubits, Elena, Hannah, Karin Behringer-Pfann und Nicole Schlaffer © Birgit Machtinger

Seit Jahrzehnten gehen Frauen mit dem Slogan „My body, my choice“ auf die Straße, plötzlich grölt eine Männerbewegung „Your body, my choice“. Wir diskutieren, was das mit uns allen (!) zu tun hat, warum wir Widerstand leisten müssen und wie frei wir in unseren Entscheidungen tatsächlich sind.

Nick Fuentes ist ein US-Influencer, der für frauenfeindliche und antisemitische Aussagen bekannt wurde. Der 26-Jährige wurde sogar auf mehreren sozialen Plattformen gesperrt. In der US-Wahlnacht schrieb er auf X: „Your body, my choice. Forever“ (Dein Körper, meine Entscheidung. Für immer).

Damit kehrt er „My body, my choice“, einen der Kernsätze der Frauenbewegung, perfide um. „Fuentes’ Mantra eint zwei andere Botschaften: Es spricht Frauen die Entscheidung ab, über eine Schwangerschaft zu entscheiden, und ist zugleich Gewaltandrohung“, schrieb die NTV-Korrespondentin Leah Nowak aus New York. Fuentes’ Post ging viral, wurde tausendfach geteilt, mehr als 96 Millionen Mal geklickt, schreibt sie weiter. Im Zusammenhang mit dem Zitat werden sogar Vergewaltigungsfantasien verbreitet.

Fuentes veröffentlicht später noch ein Video, in dem er seinen Slogan abermals wiederholt und höhnisch lachend unter anderem betont, dass niemals eine Frau Präsidentin wird.

Einen Wimpernschlag später ist „Your body, my choice“ allgegenwärtig: Amazon verkauft bis dato Shirts mit dem Slogan (nachgesehen am Drucktag dieser Ausgabe am 21. Februar), junge Männer und sogar Kids skandieren ihn online, im Klassenzimmer, auf der Straße.

Talkrunde: Karin Behringer-Pfann, Frauenberatungsstelle „Der Lichtblick“
Karin Behringer-Pfann, Frauenberatungsstelle „Der Lichtblick“ © Birgit Machtinger

Gewalt ist kein Randproblem, aber es ist ein Männerproblem.

Karin Behringer-Pfann, Frauenberatungsstelle „Der Lichtblick“

Wir sind fassungslos – und beschließen: Diese „Bewegung“ darf sich nicht widerstandslos verbreiten.
„Mein Körper, meine Entscheidung“ – dieser Satz ist nicht nur eine Forderung nach Selbstbestimmung, sondern auch eine Frage, die sich viele Frauen stellen: Wie frei sind wir in unseren Entscheidungen über unseren Körper wirklich? Wo und wie wirken bis heute patriarchale Strukturen?

Wie weit konnten sich feministische Bewegungen und Debatten über Gendern und Gleichberechtigung durchsetzen? Und wie groß ist der Rückschritt, als dessen Spitze des Eisbergs Trump, Fuentes und Co. gesehen werden können?

Die Talkrunde in den Räumlichkeiten der Frauenberatungsstelle „Der Lichtblick“ in Neusiedl am See ging diesen Fragen auf den Grund. Teilnehmerinnen sind: Karin Behringer-Pfann und Sandra Gollubits von der Frauenberatungsstelle, die Schülerinnen Elena und Hannah sowie die Journalistinnen Nicole Schlaffer und Viktória Kery-Erdélyi.

Nicole: „Your body, my choice“ – was löst der Satz in euch aus?

Elena: Ich bin erschrocken, als Mama mir das Video geschickt hat. Billie Eilish hat auf ihren Konzerten immer betont, wie wichtig der Satz „My body, my choice“ ist – und jetzt geht’s in die komplett andere Richtung. Das sehe ich auch in der Schule, wenn wir über Abtreibung diskutieren.

Hannah: Ich fand auch erschreckend, mit welcher Schadenfreude er (Fuentes, Anm.) geredet hat. Es ist auch beängstigend, dass in vielen Ländern Abtreibung nicht einmal erlaubt ist. Viele in meinem Alter haben das Video abgetan, dass er das nur so gesagt hat, und fanden das sogar lustig. Es setzen sich leider nur wenige für Frauenrechte ein.

Sandra: Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, dass jemand anderer über meinen Körper entscheiden will. Mein Körper gehört nur mir, aber der Satz trifft leider den Zeitgeist.

Talkrunde: Viktória Kery-Erdélyi, Redakteurin der BURGENLÄNDERIN
Viktória Kery-Erdélyi, Redakteurin der BURGENLÄNDERIN © Birgit Machtinger

Warum ist eine Abtreibung bei uns nur „straffrei“ und in Frankreich ein Menschenrecht?

Viktória Kery-Erdélyi, Redakteurin der BURGENLÄNDERIN

Viktória: Welche Botschaft vermittelt das, wenn so ein Spruch viral geht?

Sandra: Es wirft uns weit zurück, er signalisiert vor allem jungen Frauen, dass die Männer Macht über uns haben, wurscht, was wir tun.

Karin: Das ist eine Botschaft des Patriarchats an uns Frauen. Deshalb müssen wir alle gemeinsam aufstehen und sagen: Nein, so nicht. Es ist erschütternd, wie viele Frauen sich dem konservativen Trend anschließen; sie verurteilen Frauen, wenn sie abtreiben oder sich aus toxischen Gewaltbeziehungen lösen.

(Zu Elena und Hannah) Umso mehr freue ich mich, wenn es junge Frauen wie euch gibt. Leider haben wir oft das Gefühl, dass es zwischen meiner Generation und den Jungen einen luftleeren Raum gibt. Seit der Pandemie werden traditionelle Rollenbilder verstärkt gelebt, was wird sein, wenn wir nicht mehr an vorderster Front für Frauenrechte kämpfen? Das Recht auf Abtreibung, auf gleiche Löhne, auf Gleichbehandlung – wir haben 90 Prozent noch immer nicht erreicht, wofür Frauen schon seit Langem auf die Straße gehen.

Nicole: Wie erlebt ihr Diskussionen zu diesem Thema in der Schule oder im Freund*innenkreis?

Elena: Ich war erst vor Kurzem in einer Diskussion um Frauenrechte alleine mit meiner Meinung: fünf Burschen und ein Mädchen haben quasi gegen mich diskutiert. Es ist leider cool geworden, gegen Abtreibung und sehr konservativ zu sein.

Nicole: Ich höre immer wieder Burschen sagen, sie verstehen nicht, wozu es den Feminismus gibt, die Frauen hätten doch eh schon die gleichen Rechte. Wie erlebt ihr das?

Talkrunde: Nicole Schlaffer, Chefredakteurin der BURGENLÄNDERIN
Nicole Schlaffer, Chefredakteurin der BURGENLÄNDERIN © Birgit Machtinger

Viele Männer sehen nicht, dass sie von der Gleichstellung auch profitieren würden.

Nicole Schlaffer, Chefredakteurin der BURGENLÄNDERIN

Hannah: Die meisten jungen Leute haben gar keine Meinung. Viele kommen dann einfach mit der religiösen Schiene, Gott würde eine Abtreibung nicht wollen, dass das Kind „getötet“ wird, wäre unchristlich.

Viktória: Ich finde, das steht für so einen großen Rückschritt, wenn 14-, 15-Jährige meinen, die Frau ist dazu da, um Kinder zu kriegen. Ich verstehe auch nicht, warum eine Abtreibung bei uns noch immer nur „straffrei“ ist, in Frankreich wurde das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Verfassung verankert.

Karin: Man denkt auch nicht weiter: Was ist mit dem Kind, wenn ich eine junge Frau zwinge, es zu bekommen? Wen kümmert es dann, ob und wie sie damit zurechtkommt? Und was bedeutet es für ein Kind, geboren zu werden, obwohl es nicht gewünscht war?

Viktória: Wie konnte diese extreme Trendumkehr passieren?

Karin: Politische Parteien, die traditionelle Rollenbilder verherrlichen, werden weltweit immer mehr. Der Feminismus wird auch vielfach falsch verstanden. Was bedeutet es? – Ich bin eine Frau, die sich für Frauenrechte einsetzt.

Sandra: Bei unseren Infotagen habe ich Schüler*innen gefragt: Was ist Feminismus? Und die Antwort war: Frauen hassen Männer. – Nein! Die Rechte, die sich unsere Mütter und Omas erkämpft haben, gibt es noch gar nicht so lange. Bis in die 1970er mussten Frauen die schriftliche Erlaubnis vom Mann einholen, wenn sie arbeiten gehen wollten. Feminismus ist die Gleichstellung der Geschlechter.

Und wenn Burschen sagen, Frauen hätten dieselben Rechte, kommen wir mit Fakten: Frauen verdienen nachweisbar weniger, haben auch nach Schwangerschaft und Karenz den weit größeren Mental Load und verdienen auch beim Wiedereinstieg weniger. Die gleichen Rechte sehen auf dem Papier schön aus, die Realität ist anders.

Talkrunde: Hannah, Schülerin
Hannah, Schülerin © Birgit Machtinger

Würde es Ihnen gefallen, wenn ich Sie mit „Herr Professorin“ anspreche?

Hannah, Schülerin

Karin: Bis heute sind „typisch weibliche Berufe“ schlechter bezahlt, dann heißt es, wir müssen die Mädchen in die technischen Berufe bringen. Warum drehen wir nicht den Spieß um und erhöhen die Löhne in „weiblichen“ Berufen, vielleicht will ich ja keine Technikerin sein?

Viktória: Der „Your body, my choice“-Slogan gilt ja auch als gewaltverherrlichend. Gewalt gegen Frauen ist in Österreich ohnehin ein schlimmes Problem. Wo stehen wir aktuell?

Karin: Gewalt gegen Frauen ist mein Hauptthema in der Beratung. Das ist kein Randproblem, aber es ist ein Männerproblem. Es gibt leider bis heute viele Frauen, die aufgrund einer Abhängigkeitsspirale in Gewaltbeziehungen verhaftet sind; das traditionelle Frauenbild wurde zuletzt verstärkt, Frauen vom Arbeitsmarkt verdrängt und jetzt sitzen sie quasi in der Falle.

Wir haben furchtbare Zahlen bei Gewalt gegen Frauen in Österreich. Allein letztes Jahr hatten wir 27 Femizide, die Jüngste war 13, die Älteste über 90.

Was mich dabei außerdem aufregt, ist, dass dem Täter fast so etwas wie Verständnis entgegengebracht wird, wenn man sagt, er sei schwer krank gewesen oder wenn man von einem „Beziehungsdrama“ spricht.
Sandra: Viele junge Mädels erzählen mir bei unseren Workshops, wie Burschen über Mädchen und Frauen sprechen, sie beschimpfen – und das ist erschreckend.

Nicole: Was hat sich in den letzten Jahren verändert?

Karin: Gut ist, dass viele Frauen heute mehr Selbstbewusstsein haben und dazu stehen, wenn sie zu uns kommen. Bei Gewalt ist das anders, da geht man mit Informationen vorsichtig um.

Davon abgesehen haben sich Dinge teilweise verschlechtert: Johanna Dohnal war die erste Frauenministerin, wir hatten sogar ein eigenes Frauenministerium, das war ein harter Kampf und wir haben das gefeiert. Heute ist es „nur noch“ eine Abteilung im Bundeskanzleramt.

Natürlich macht ein Ministerium nicht alles aus, aber es ist eine Botschaft. So wie das Thema Gendern, wo es jetzt Bundesländer gibt, die das per Verordnung verbieten wollen. Das kann ich nicht verstehen.

Talkrunde: Sandra Gollubits, Frauenberatungsstelle „Der Lichtblick“
Sandra Gollubits, Frauenberatungsstelle „Der Lichtblick“ © Birgit Machtinger

Mädchen hören noch immer: „Zieh dich so an, dass du keine Aufmerksamkeit erregst.“

Sandra Gollubits, Frauenberatungsstelle „Der Lichtblick“

Viktória: Welche Erfahrungen macht ihr damit in der Schule und in eurem Umfeld?

Elena: Ich habe eine sehr coole Deutschlehrerin, die ganz selbstverständlich feministisch ist, ich mag das. Wenn man nicht gendert, streicht sie das an.

Dafür sind meine Schwester und ich das letzte Mal erschrocken, als eine 19-Jährige meine Schwester mitten im Satz unterbrochen hat, um zu sagen: „Wie bitte, hast du gerade wirklich gegendert?!“ – Sie hat betont, dass sie das für unnötig hält.

Hannah: Für die meisten Lehrer*innen ist das Gendern kein Problem, aber nicht für alle. Eine Lehrerin schreibt beispielsweise immer nur die männliche Form und sagt, die Frauen sind eh mitgemeint – und mit einem Lehrer habe ich länger diskutiert, bis ich ihm gesagt habe, dass es ihm doch auch nicht gefallen würde, wenn ich „Herr Professorin“ zu ihm sage.

Nicole: Ich denke, je unaufgeregter man das Thema handhabt, umso besser. Ich hab kürzlich beim Brettspiel „Spiel des Lebens“ bei allen Berufskarten einfach das in“ händisch dazugeschrieben; meine Mädels fanden das gut, mein Sohn hat gemotzt, der ist schon übersättigt von meinen Vorträgen.

Darum versuche ich das Gendern meist nebenbei in den Alltag einfließen zu lassen, damit es im Unterbewusstsein der Kinder ankommt.

Talkrunde: Elena, Schülerin
Elena, Schülerin © Birgit Machtinger

Es ist leider wieder cool geworden, konservativ zu sein. Das ist schlimm.

Elena, Schülerin

Karin: Ich habe damals Johanna Dohnal noch live erlebt. Auf einer Veranstaltung, bei der nur vereinzelt Männer waren, sagte sie bei der Begrüßung: „Liebe Frauen – und die paar Männer sind einfach mitgemeint.“ – Das ist das, was wir Frauen sonst immer vermittelt bekommen.

Beim Thema Gendern kommt oft die Aussage: „Haben wir denn keine anderen Sorgen?“ Sprache schafft Bewusstsein, macht öffentlich und zeigt auf. Da gibt es andere Sorgen, die ich lieber nicht haben sollte – wie zum Beispiel, welche Creme ich für meine Falten brauche und wie ich mich hinstellen muss, um gut auszuschauen.

Das ist ein viel größeres Problem, das uns von der Gesellschaft und vom Patriarchat auferlegt wurde. Würde das Patriarchat zerbrechen, hätten wir viel weniger Probleme.

Nicole: Stichwort äußeres Erscheinungsbild: Wie hat sich der Blick auf den Körper verändert?

Karin: Du bist als Frau immer schon taxiert, in Schubladen gesteckt worden. Was mich heute erschreckt, ist, dass schon junge Frauen operative Eingriffe vornehmen lassen, beispielsweise eine Brustvergrößerung zum 18. Geburtstag.

Elena: Ein Trend auf Social Media ist beispielsweise das Hausfrau-Sein: Die Influencerinnen sind immer geschminkt und gestylt, sehen aus wie Models, sind dann 24 oder so, haben Kinder und sind Hausfrauen, der Mann geht arbeiten. Das wird so schön dargestellt, viele Mädels hinterfragen das nicht und wünschen sich auch so ein Leben.

Hannah: Ja, die setzen sich in die Zeit ihrer Großmütter zurück, schlagen händisch die Butter und hoffen, dass sie dem Mann gefallen, wenn er heimkommt.

Nicole: Gibt es auf Social Media auch gegenteilige Beispiele?

Hannah: Auf TikTok gibt es schon immer mehr Influencer*innen, die auch echte Seiten zeigen, es ist mehr Diversität da. Aber leider auch noch extrem viel Hate – und das meistens genau bei den Personen, die real sind, zu ihrem Körper stehen, auch wenn sie mal vielleicht ein bisschen dicker sind.

Sandra: Laut einer Studie mag eine von drei Insta­gram-Nutzer*innen ihren Körper nicht, das sind 33 Prozent! Wir haben zuletzt den Workshop „Real ­Girls Art“ mit Kunsttherapeut*innen und Sozialpädagog*innen gemacht, wo es darum ging, dass Mädchen ein Bewusstsein dafür bekommen, dass sie ständig mit künstlich geschaffenen Bildern – mit Make-up, Filtern und Photoshop – konfrontiert sind.

Karin: Warum müssen wir uns überhaupt ständig mit dem Äußeren beschäftigen? Mich ärgert das total, wenn erfolgreiche Frauen etwas posten – und du liest in den Kommentaren nur: „Siehst du heute wieder hübsch aus“ oder „Immer toll gestylt“. Ich könnte kotzen! – Da müsste stehen: „Spitzen-Leistung!“, „Du hast wieder toll eröffnet“ oder „Super gesprochen“.

Viktória: Man könnte ja zumindest kombinieren: Coole Message und fesch bist auch!

Karin: Ich hab’ noch nicht erlebt, dass ein Politiker den Kommentar kriegt: „Wow, Sie sehen heute wieder gut aus!“ – Oder umgekehrt, weil Frauen werden ja auch viel gehatet: „Ihre Frisur passt ja gar nicht.“ So etwas schreibt man einem Mann einfach nicht.

Sandra: Die Reduzierung auf eine Hülle ist an sich bedenklich. Mein Körper kann mehr, als nur gut ausschauen, er funktioniert, trägt mich jeden Tag, ich kann denken, schauen, hören, riechen, schmecken, laufen … Der Selbstwert sollte immer auf mehreren Pfeilern stehen. Wenn nur das Aussehen im Mittelpunkt steht und das wird angegriffen, ist man natürlich sehr fragil.

Nicole: Wir wissen das alles, trotzdem achten wir beim eigenen Profilbild darauf, welche Pose vorteilhaft ist.

Viktória: Aber das finde ich nicht schlimm, wenn man sich damit wohler fühlt. Viele haben ja noch immer im Kopf, als Feministin müsste man rund um die Uhr uneitel mit Gesundheitsschlapfen unterwegs sein. Ich mag auch Make-up und schöne Nägel.

Hannah: Das wurde uns Frauen von der Gesellschaft „anerzogen“, dass wir immer darüber nachdenken, wie wir aussehen.

Sandra: Ich erlebe bei Diskussionen in Schulen ganz oft, dass Mädels vom Lehrpersonal gesagt bekommen: „Du bist ja selber schuld, wenn die Burschen so schauen.“ Auch da schafft Sprache Realität, man sagt ihnen: „Du bist schuld, du musst schauen, dass du dich so anziehst, dass du keine Aufmerksamkeit erregst.“ Es gilt: Educate your son and protect your daughter. (Erziehe deinen Sohn und schütze deine Tochter.)

Talkrunde: Zwei 15-jährige Freundinnen im angeregten feministischen Talk sitzend an einem Tisch
WOW. Zwei 15-jährige Freundinnen im angeregten feministischen Talk. © Birgit Machtinger

Nicole: Wo setzt man an?

Karin: Über die Sprache geht viel. Ich will nicht mehr darüber diskutieren, ob wir „Heimat bist du großer Söhne und Töchter“ singen. Davon abgesehen haben wir viel Gleichberechtigung auf Papier, aber sie wird nicht gelebt. Wir Frauen müssen immer wieder miteinander aufstehen, das werden noch harte Kämpfe. Wir müssen den Gedanken der Gleich­berechtigung vermitteln.

Viktória: Es tritt leider kaum ein Mann freiwillig einen Schritt zurück.

Nicole: Weil viele Männer auch noch nicht begriffen haben, dass es ihnen auch besser gehen würde, wenn Frauen auch in der Realität gleichgestellt sind. Dann wäre der Druck auf die Männer nicht so hoch.

Sandra: Studien bestätigen, dass wenn Männer länger als drei Monate in Karenz sind, sich auch neurologisch etwas verändert: Sie entwickeln Fähigkeiten, die sie auch im Beruf weiterbringen – wie etwa Planungs- und Managementfähigkeiten oder Stress­resistenz.

Nicole: Aber ein Vater, der in Karenz geht, ist für viele leider noch immer ein Weichei – und seine arbeitende Partnerin eine Rabenmutter. Was muss passieren, damit sich das endlich ändert?

Karin: Es braucht ein politisches Bekenntnis dazu. Im skandinavischen Raum ist das alles längst Normalität. Wenn wir Gleichberechtigung endlich leben wollen, bedeutet das zu Beginn, dass wir Männern etwas wegnehmen müssen:

Sie haben mehr politische Ämter, mehr Managementposten, mehr Einfluss, mehr Geld etc. Deswegen haben wir ja den Widerstand: Sie wollen das nicht hergeben. ­Darum muss das auch politisch geregelt sein – und: Es braucht die Quotenregelung.

Nicole: Ich höre immer wieder von Manager*innen, dass sie Positionen gerne mit Frauen besetzen wollen, aber es bewerben sich keine. Solange das Rundherum nicht mitzieht, ist es für viele Frauen nicht leicht, Managementposten anzunehmen, weil sie sich ja meist um Kinderbetreuung, Haushalt oder Care-Arbeit auch zum Großteil kümmern müssen.

Viktória: Entscheidungsträger*innen müssen den aufwendigeren Weg gehen und Frauen aktiv suchen, überreden. Frauen wird von klein auf beigebracht, brav und still zu sein, uns unterzuordnen, da müssen wir auch bei der Erziehung ansetzen. Natürlich gibt es viele topqualifizierte Frauen, nur wurde ihnen oft ein Leben lang Zurückhaltung von der Gesellschaft eingeimpft.

Talkrunde: Alle Frauen im Gespräch an einem Tisch in der Neusiedler Frauenberatungsstelle
Voneinander lernen, einander stärken. Diskussion in der Neusiedler Frauenberatungsstelle © Birgit Machtinger

Nicole: Selbstbestimmung, Körperbild und Frauenrechte: Was möchtet ihr jungen Mädchen mitgeben?

Hannah: Egal was auf der Waage steht: Lasst euch nicht von Zahlen definieren! Jeder Körper ist anders. Es können zwei Frauen das gleiche Gewicht haben und komplett anders aussehen. Das gleiche gilt für Kleidergrößen: Nicht ich muss in die Hose passen, sondern die Hose muss mir passen!

Elena: Nicht verzweifeln, wenn ihr für Frauenrechte einsteht und Widerstand merkt. Immer weitermachen! Es ist aber gut, sich Gleichgesinnte zu suchen, alleine ist es schwieriger.

Sandra: Wir können in so vielen Sachen gut sein, sind aber viel zu defizitorientiert. Es passiert etwas mit unserem Gehirn, wenn wir nur unsere Schwächen sehen, wir müssen uns an unseren Stärken orientieren.

Karin: Werdet nicht müde, Diskussionen zu führen. Ihr könnt euch Rat und Rückhalt von uns holen. Ich freue mich sehr, dass junge Frauen diese Botschaften weitertragen, das ist notwendig, um eine positive Wende in Zukunft zu schaffen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

MEHR ÜBER DIE AUTORINNEN DIESES BEITRAGS:

Mag. Nicole Schlaffer  ist Chefredakteurin der BURGENLÄNDERIN und liebt es, Menschen und Ereignisse in spannende schriftliche Storys zu verpacken. Sie behält gerne den Überblick und sucht nach Lösungen, nicht nach Problemen. Gutes Essen & Trinken, Bücher und das Kommunizieren mit Menschen sind ihre Leidenschaften. Sie ist zweifache Mutter und bevorzugt es, an Orte zu fahren, an denen sie davor noch nie war.

Mag. Viktória Kery-Erdélyi ist Redakteurin bei der Burgenländerin, hört und schreibt sehr gerne Lebensgeschichten von Jung und Alt, bemüht sich, Menschen, die sich gegen Ungerechtigkeiten engagieren und die Welt zu einer besseren machen wollen, eine Stimme zu geben. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft und ist zweifache Mama.

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