Maria Großbauer und die analoge Seelen-Tankstelle
Wiedergeburt des Stadttheaters Wiener Neustadt
© Alex Schwarz Photography
Fanfaren, roter Teppich, Klänge der originalen Mozart-Geige und Spannung in der Luft. Am 8. November werden sich die Tore des geschichtsträchtigen Stadttheaters Wiener Neustadt nach einer langen Renovierungspause öffnen und den Gästen im Rahmen einer großen Eröffnungsgala den Glanz einer perfekten Symbiose aus Alt und Neu präsentieren. Für die Geschäftsführerin Maria Großbauer heißt es nach „Alles Walzer“ nun „Vorhang auf“.
Es war einmal ein Karmelitinnen-Kloster in der Herzog-Leopold-Straße, dessen Grundsteinlegung 1668 unter der Genehmigung von Kaiser Leopold I. erfolgte. Als 1782 die Kirche von Joseph II. aufgehoben wurde, stand dem Wunsch der Wiener Neustädter nach einem eigenen Theater nichts mehr im Weg, und so konnte am 23. Oktober 1794 das Stadttheater eröffnet werden. Heuer feiert die von Brand und Bombenangriffen mehrfach zerstörte, historische Spielstätte ihr 230-jähiges Jubiläum – und die glanzvolle Wiedergeburt eines Kulturschatzes.
Musik im Blut
Maria Großbauer begleitete ihren Vater Karl Jeitler, Posaunist und ehemaliges Mitglied der Wiener Philharmoniker, bereits als Kind zu den Orchesterproben. Sie lernte Block- und Querflöte, später Klavier. Ihre Mutter hingegen „hörte Dean Martin und Frank Sinatra rauf und runter“. Wohl ein Grund dafür, dass sie dann noch Jazz-Saxofon studierte und einige Jahre als freischaffende Musikerin mit der 5-köpfigen Funk-Fusion-Band „Maria Jeitler Funk Project“ auftrat.
Im März 2016 folgte sie Desirée Treichl-Stürgkh als bislang jüngste Organisatorin des Wiener Opernballs nach – eine Aufgabe, welche die Werbefachfrau bis 2020 mit großem Engagement und neuen Ideen erfüllte. Seit Oktober 2023 ist die nunmehr ehemalige ÖVP-Nationalratsabgeordnete und ÖVP-Kultursprecherin operative Geschäftsführerin des Stadttheaters Wiener Neustadt.
Alles walzer
Maria, wenn einst nach erfolgreicher Opernball-Eröffnung das erlösende Johann Strauß-Kommando „Alles Walzer“ gerufen wurde, fiel eine große Anspannung von Ihnen ab. Welche Gefühle werden Sie bei der Eröffnungsgala begleiten?
Jetzt fiebere ich seit einem Jahr auf den Tag der Eröffnung hin, das Gefühl ist nicht unähnlich dem beim Opernball, aber viel intensiver. Denn die Staatsoper stand ja schon fix und fertig da! Aber ein Theater, einen Kulturbetrieb wieder von Null zu eröffnen – nämlich von der totalen Baustelle und einem kompletten Team-Aufbau – ist die absolut größere Challenge. Deshalb wird mir nicht nur ein Stein vom Herzen fallen, wenn die Live-Übertragung der Eröffnungsgala beginnt, sondern der ganze Schneeberg.
In der Organisation des Opernballs galten Sie als sehr detailverliebt. Wird man diese Handschrift wiederfinden?
Auf jeden Fall, denn es ist meine tiefste Überzeugung, dass alles nur so gut ist wie sein kleinstes Detail. Und das spürt auch ein Kulturgast. Ein Mosaik besteht aus vielen Teilen – und jedes ist im Grunde wichtig. Auch wenn es nun in der Kürze der Vorbereitungszeit für einen ganzen Kulturbetrieb bestimmt noch hier und da im Detail etwas hapern wird. Aber jeder, der schon mal mit einer Baustelle gearbeitet hat, wird das bestimmt verstehen.
Höhepunkt des Festaktes
Als Höhepunkt des Festaktes wird Lidia Baich, eine der vielseitigsten Violinsolistinnen der Gegenwart, die Saiten der originalen Costa-Geige Mozarts in Schwingung versetzen. Wie kam es zu dieser Leihgabe der Internationalen Stiftung Mozarteum für die Eröffnung?
Nachdem ich im Zuge meiner Bewerbung bei Recherchen herausgefunden hatte, dass das Mozart Requiem erstmals vollständig als Totenmesse im Jahr 1794 in Wiener Neustadt aufgeführt wurde, war ich als große Mozart-Liebhaberin natürlich total begeistert. Ich wusste das tatsächlich nicht, aber mir war sofort klar: Das ist eine ganz besondere Geschichte.
Also habe ich die Internationale Stiftung Mozarteum Salzburg, zu der ich gute Kontakte pflege, um inhaltliche, wissenschaftliche Zusammenarbeit zu diesem Thema gebeten, damit auch alles korrekt erzählt wird. Und dann hat man uns angeboten, dass wir für die Eröffnung die originale Geige von Mozart bekommen könnten – das hätte ich nie zu fragen gewagt. Diese Geige ist viel in der Welt unterwegs, von Mexiko bis Japan. Zuletzt wurde sie zum Beispiel in New York in der UNO gespielt, anlässlich des Festakts 75 Jahre Menschenrechte.
Im Juli haben Sie mit Lidia Baich Mozarts Geburtshaus in Salzburg besucht, um auf der Costa-Geige probezuspielen. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?
Er war sehr, sehr besonders. Vor allem Lidia war wirklich sehr emotionalisiert. Sowas erlebt man eben nicht alle Tage!
Mozart und Wiener Neustadt haben eine besondere historische Beziehung. Die Aufführung des mythenumrankten Requiems wird heuer im Stadttheater am 5. Dezember durch das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich stattfinden. Werden Sie diese Tradition aufrechterhalten?
Ja, jedes Jahr am 5. Dezember, das ist Mozarts eigener Todestag. Ich freue mich sehr, dass ich gemeinsam mit dem Tonkünstler-Orchester – neben dem sehr begehrten Abo – zusätzlich ein eigenes Konzertereignis speziell für Wiener Neustadt auf den Spielplan bringen konnte. Und besonders stolz bin ich auf die tolle Besetzung: Michael Schade wird zum Beispiel singen. Und am Dirigentenpult haben wir sogar ein Österreich-Debüt: Andreas Ottensamer, Solo-Klarinettist bei den Berliner Philharmonikern, er stammt ursprünglich aus Niederösterreich. Wo er überall auf der Welt dirigiert, kann man sich auf seinem beeindruckenden Instagram-Kanal anschauen.
Zukunft des Theaters
Zur Zukunft des Theaters. Sie haben einmal gesagt: „Man kann nicht immer nur Zuschauer sein, irgendwann muss man sich ins Orchester setzen und mitspielen.“ Sie sind in vielen Genres zuhause. Welchen Spirit möchten Sie einbringen?
Dass Kunst – egal ob Musik aller Genres, Theater, Kino – Menschen zusammenbringt. Vor allem die Musik ist da eine Supermacht. Ich glaube auch, dass Musik- und Theater-Räume in Zukunft noch wichtiger werden, als analoge Seelen-Tankstellen. Als Oase und Ausgleich zur immer mehr digital werdenden Welt. Menschen sind analoge Wesen, wollen zusammenkommen und gemeinsam etwas live erleben.
Die von Ihnen veröffentlichte Biografie über Ihren Vater haben Sie „In Frack und Lederhose“ genannt. Werden wir beiden Traditionen im Stadttheater begegnen?
Ja! Und ich kann Ihnen für beide Traditionen mehrere Termine in der Eröffnungssaison nennen. Zum Beispiel alle Tonkünstler-Konzerte oder unser neues Konzertprojekt „Logenpolka! – Volksmusik im Theater“ Ende November. Es werden auch beide Traditionen immer wieder ineinandergreifen, zum Beispiel gleich am Samstag des Eröffnungswochenendes: da kommt Opernsänger Rafael Fingerlos mit seinem Programm „Franz – Schubert und die Volksmusik“, das er gemeinsam mit Dirigent Franz Welser-Möst entwickelt hat, in unser Theater.
Das Programm der nächsten Spielzeit ist außerordentlich facettenreich, auch für Jugendliche. Wie sehr liegt Ihnen als Mutter eines Sohnes die Heranführung der Kinder ans Theater am Herzen?
Sehr! Programm für junges Publikum ist für jedes Haus sehr wichtig und ein Thema, das ich seit vielen Jahren leidenschaftlich verfolge. Wir haben Produktionen des Landestheaters für Kinder und speziell auch für Jugendliche, mit denen wir vor allem Schulen ansprechen wollen, aber auch Musikprogramme der Tonkünstler – und für Jugendliche und junge Erwachsene auch Popmusik aus Österreich, am Eröffnungs-Sonntag, Zelda Weber & the Rosettes. Außerdem haben wir im ersten Jahr schon vier Projekte mit Schulen, vom Musical der Musikvolksschule bis zu einem Sprachwettbewerb.
Just do it!
Maria, immer wieder wird ein Spruch Ihrer Großmutter, den Sie mal zitiert haben, medial ausgeschlachtet, nämlich: „Aufs G’wissen wird g’schissen“. Wollen wir die Geschichte dahinter erklären?
Meine Großmutter hat den Zweiten Weltkrieg er- und überlebt mit all dem Grauen der Nachkriegszeit, hat ihr Leben lang hart und fleißig gearbeitet, war aber nie angestellt, musste im Gasthaus ihres Mannes Tag und Nacht arbeiten. Sie wurde ausgebeutet und hat in einer Zeit gelebt, in der Frauen als Eigentum betrachtet wurden – und musste von der Mindestpension leben. Trotzdem hat sie sich liebevollst um mich gekümmert. Und aus ihrer eigenen Situation heraus hat sie mich immer bestärkt, meinen Weg zu gehen, eine eigenständige Frau zu werden, mir nichts gefallen zu lassen, so wie sie es musste.
Sie hatte hohe moralische Werte und war voller Nächstenliebe. Trotzdem hatte sie viele kantige, launige Sprüche auf Lager, die sie ständig von sich gab. Einer davon war eben dieser. Damit meinte sie: wenn dir jemand, ein Mann, ein schlechtes Gewissen machen will, dir weismachen will, dass du etwas nicht kannst oder sollst, dann kannst du getrost darauf verzichten. Es ist ja noch immer so, dass sich Frauen, im Gegensatz zu Männern, für so vieles entschuldigen müssen. Ich hätte mit meiner jahrelangen Medienerfahrung wissen müssen, dass mir dieser Satz – aus dem Zusammenhang gerissen – negativ ausgelegt werden kann.
Trotzdem hatte ich ihn bei einer Veranstaltung von Lena Hoschek zum Thema Business-Mode und weibliche Vorbilder in einem Interview gesagt. Schäbig ist nicht, dass ich meine Oma zitiert habe, sondern dass man mir das Wort verdreht und das dann kampagnisiert hat. Für meine jetzige Aufgabe und übersetzt bedeutet er: Just do it!
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