Spera und Faber: Grüß Gott & Schalom
Am 8. November veröffentlichten Danielle Spera und Toni Faber ihr erstes gemeinsames Buch.
© Stefan Knittel
Am 8. November veröffentlichten Danielle Spera und Toni Faber ihr erstes gemeinsames Buch. In einem Gespräch über Judentum und Christentum setzen sich die ehemalige Leiterin des Jüdischen Museums Wien und der Dompfarrer zu St. Stephan offen und schonungslos mit der wechselvollen Geschichte ihrer Glaubensrichtungen auseinander. Ein Buch, das seit dem 7. Oktober noch brandaktueller ist. Wir baten zum Doppelinterview.
Judentum und Christentum: Was verbindet, was trennt? Warum wurde Juden von Christen über Jahrhunderte Gewalt angetan? Etwa durch die Behauptung, die Juden hätten Christus gekreuzigt? Wobei das Todesurteil ja von den Römern kam, weil Jesus eine freiere Gesetzesauslegung anstrebte und sich dafür mit den jüdischen religiösen Autoritäten anlegte. Und schließlich blieb Jesus Jude bis zu seinem Tod. Fragen über Fragen. Aber Fakt ist: Die Juden sind die älteren Brüder und Schwestern der Christen. Wer einen Psalm liest, spricht ein jüdisches Gebet, das Christentum wäre ohne seine jüdischen Wurzeln eine „amputierte Religion“, wie es Toni Faber ausdrückt. Oder wie Danielle Spera sagt: „Das Judentum kommt ohne das Christentum aus, das Christentum aber nicht ohne das Judentum.“ Das eine gibt es nicht ohne das andere. Mit diesem spannenden Dialog über Gemeinsamkeiten, Glaubenssätze und deren heutige Bedeutung wollen uns die beiden prominenten Botschafter ihres Glaubens Gedanken auf den Weg geben, dass „wir nicht auf den Messias warten sollen, damit die Welt in Frieden, Gerechtigkeit, Freude und Harmonie leben kann, sondern was jeder Einzelne von uns dazu beitragen kann, damit wir jetzt schon in einer besseren Welt leben können“.
Drei Religionen
Frau Spera, Juden begrüßen sich mit „Schalom“, dem hebräischen Wort für „Frieden“, „Selig sind, die Frieden stiften“, sagt Jesus in der Bergpredigt, und auch Muslime begrüßen einander mit „Salam alaikum“ – was bedeutet „Friede sei mit dir“? Drei Religionen, die für den Frieden einstehen wollen. Warum dann all dieser Hass im Namen des Glaubens?
Danielle Spera: Die zehn Gebote stehen für Frieden. Und in der Tora, dem „Alten Testament“, heißt es im dritten Buch: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Jesus hat dieses Gebot aufgegriffen. Wenn alle Menschen sich daran hielten, gäbe es keine Kriege und Auseinandersetzungen. Hier gilt es, bereits im Kleinen zu beginnen, in alltäglichen Gesten und Handlungen, und dies auch schon an die Kinder weiterzugeben. Das Leben der anderen, unserer Mitmenschen wertzuschätzen, sollte der wichtigste Grundsatz sein.
Herr Pfarrer, für Gläubige geht es in ihren Religionen nicht nur um ihre Identität, sondern darüber hinaus um das Transzendente, das Heilige. Kann es sein, dass Menschen die Verteidigung ihres Glaubens als heilige Pflicht, als eine Form von Gottesdienst, sehen? Und das mit allen Mitteln?
Toni Faber: Also, wenn ich wirklich eine Gottesbeziehung habe, wenn ich um das Transzendente bemüht bin, dann werde ich aufmerksamer und liebevoller meinen Mitmenschen gegenüber. Der Gottsuchende wird aufmerksamer sein für das, was rund um ihn abgeht, die Not und Gefahren sehen, und etwas suchen, was dazu beiträgt, die Menschen zusammenzubringen und was uns miteinander zum Frieden dient. Der Fanatismus hingegen ist eine Gefahr, der am Rande der Religionen droht, wenn etwas übertrieben wird.
Frau Spera, seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober ist die Welt aus den Fugen geraten, den Juden wurde ihr sicher geglaubter Zukunftsort geraubt. Der Code „From the River to the Sea“ dominiert Schlagzeilen, sogar vor dem Stephansdom in Wien demonstrierten Israel-Hasser. Wie geht es Ihnen?
Danielle Spera: Es ist unfassbar, was sich am 7. Oktober ereignet hat. Ein Zivilisationsbruch. Wir sind wie gelähmt. Dass sich in wenigen Stunden eine Opfer-Täter-Umkehr ereignet hat, macht uns sprachlos. Dass sich in Österreich Übergriffe ereignen, die wir nicht für möglich gehalten hätten, ist erschütternd. Es wäre wichtig, dass sich die Allgemeinheit hier zu Wort meldet, denn es kann nicht sein, dass Jüdinnen und Juden in Österreich in Angst leben müssen.
aktuelle Situation: Krieg
Im Gespräch über die Aufarbeitung des Antijudaismus bis hin zum Holocaust sowie über die aktuellen Kriege sagen Sie: „Das lässt uns ratlos zurück, wie schnell Menschen aufeinander losgehen und sich tausendfach massakrieren. Und ein Flächenbrand entstehen kann. Wie gefährlich ist da unsere menschliche Veranlagung?“ Ja, wie wichtig ist „Wehret den Anfängen“ und „Nie wieder“?
Toni Faber: Ich glaube, es ist eine Alarmstimmung da, wenn am Stephansplatz bei Demonstrationen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern der Tod gewünscht wird und Scheiben von jüdischen Geschäften wieder beschmiert und eingeschlagen werden. Da müssen wir nicht nur den Anfängen wehren, sondern der aktuellen antisemitischen Brandung entgegentreten. Dabei sind alle gefragt, von der Staatsspitze bis zu den Religionen – auch wir als Christentum, wo jede Form von Antisemitismus und Antijudaismus strikt zurückzuweisen und wo dagegen zu arbeiten ist –, gerade auch mit den Religionsverantwortlichen des Islam. Dazu habe ich gute Gespräche, wie mit dem Direktor des muslimischen Zentrums in Floridsdorf, mit den Imamen dort, die in den Freitagsgebeten der letzten Wochen hundertprozentig klar gegen jede Form des Terrors, gegen alle diese Ausformungen der Hamas, gegen jede Form der Gewalt gegenüber jüdischen Mitbürgern auftreten und predigen. Mit denen müssen wir uns zusammenschließen und sagen, das geht auf gar keinen Fall! Dazu sind auch die Sicherheitsbehörden gefragt. Ich habe gerade auch mit dem Polizeipräsidenten und den verantwortlichen Polizisten gesprochen, dass wir da höchste Aufmerksamkeitsstufe brauchen.
Der Präsident der israelitischen Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch, sagt: „Der beste Weg gegen den Antisemitismus ist jüdisches Leben.“ Wie kann die Stärkung jüdischen Lebens in Österreich gesichert werden?
Danielle Spera: Wichtig ist, dass das Judentum in Österreich nicht auf die Jahre 1938 bis 1945 reduziert wird, sondern dass wir die jüdische Geschichte veranschaulichen, die so eng mit der österreichischen Geschichte verwoben ist, die von Höhen und Tiefen geprägt war, die aber zuallererst die österreichische Gesellschaft so tief geprägt hat, von Kunst und Kultur über Medizin, Wissenschaft bis zur Infrastruktur. Vor allem aber die Gegenwart präsentieren: jüdisches Leben in Wien heute, die Tradition, die Kultur, die Lebensfreude erlebbar machen.
Hoffnung
Thema des diesjährigen „Philosophicum Lech“ war die Hoffnung in all ihrer Ambivalenz. Wie können wir uns diese Hoffnung angesichts der aktuellen Krisen und Kriege bewahren?
Toni Faber: Die ganze Bibel ist voll von Hoffnungsgeschichten. Angesichts all dieser dramatischen Ereignisse, die sich in der Welt abspielen, trägt die Hoffnung dazu bei, immer wieder neu aufzubauen. Es gibt die Gewalt, es gibt den Krieg, es gibt den Hass. Das Einzige, was ich dagegenstellen kann, ist eine Hoffnung, die von Liebe und der Suche nach Gerechtigkeit getragen ist. Die halten wir in jedem Gottesdienst, in jedem Gebet, in jeder christlichen Grundhaltung weit oben, denn ohne diese Hoffnung wäre die Welt hoffnungslos verloren.
Sie zitieren einen Satz des ersten Ministerpräsidenten Israels, David Ben-Gurion, der sagt: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.“ Ein großer Satz angesichts des nahenden Weihnachtsfestes …
Toni Faber: Das größte Wunder ist, dass wir als Menschen von Gott geliebt sind und Gott selbst Mensch geworden ist. Mach‘s wie Gott und werde immer mehr Mensch – das ist ein geheimer Schlüsselsatz für mich. Dort, wo wir menschlicher werden, dort werden wir dem Willen Gottes gemäßer. Wir müssen nicht nur frommer werden, sondern wir müssen menschlicher werden – das ist der Auftrag für jede Religion.