Vom Loslassen und neu beginnen…

Ein Gespräch mit Brigitte Karner.

9 Min.

© Johannes David

Er war einer der größten Schauspieler unserer Zeit: Peter Simonischek. Und er war ein großer Mensch, der seine Familie über alles liebte. Am Pfingstmontag ist er gestorben. Ein Interview mit Brigitte Karner über den Schmerz des Verlustes und das zarte Pflänzchen Zuversicht, den Weg als Ehefrau und Künstlerin ohne ihn weiterzugehen…

„Der ist nichts für mich, der ist viel zu schön“, dachte sich Brigitte Karner, als sie einander in Berlin kennenlernten, während Peter Simonischek mit dem Festnetztelefon in der Hand, behütet wie ein Schatz, auf ihre Anrufe wartete. Ein ganzes Jahr hat er sie umworben, bis sie ein Paar wurden. Eine Liebe, die über 40 Jahre andauerte, zwei Menschen, die nicht nur im Leben als Eltern zweier Söhne, sondern auch auf der Bühne zu kongenialen Partnern wurden. Viele Jahre durfte ich dieses Künstlerpaar begleiten, unzählige Texte zu den gemeinsamen Lesungen verfassen und als Pressereferentin in umjubelten Premieren auf großen Bühnen genauso wie in Lesungen in kleineren Häusern den „Fest des Augenblicks“, wie es Peter Simonischek nannte, mitfeiern. Wie auch im Jahr 2005, als das Paar – auf eigenen Wunsch hin – den „Kleinen Prinzen“ im Salzburger Hospiz vortrug. Ein Abend, der heute eine ganz andere Bedeutung für mich hat, aber jeder Augenblick bleibt ein kostbares Geschenk. Genauso wie dieses sehr persönliche Gespräch mit Brigitte Karner, das ich mit Ihnen teilen darf.

NIEDERÖSTERREICHERIN: Brigit­te, darüber, wie man angesichts des Leides Worte findet, sagt Viktor Frankl: „Wo alle Worte zu wenig wären, ist jedes Wort zu viel“. Wollen wir dennoch darüber sprechen?
Brigitte Karner: Wow, das ist toll. Das ist DER Satz! Und dann kann man anfangen, ganz viel zu erzählen und zu erklären.

Am 26. August hättet ihr euren 34. Hochzeitstag gefeiert. Das Gefühl des Loslassens hat seit dem Pfingstmontag für dich eine neue Bedeutung …
Ja, das ist wirklich wahr! Ich dachte mir, wenn‘s furchtbarerweise schon sein muss, dann wäre es versöhnlich zu Pfingsten. Der 29. Mai ist als Datum für mich nicht wichtig, aber sagen zu können, „Peter ist am Pfingstmontag gestorben“, hat eine ganz andere Bedeutung für mich. Ich war so dankbar dafür. Im Grunde könnte man eine große Abhandlung über die Möglichkeiten von Beziehung schreiben. Weißt du, was jetzt weh tut, ist dieser Verlust deiner zweiten Hälfte. Wir waren eine solche Einheit und dennoch sehr gegensätzlich, wir haben uns sehr gerieben. Der Peter hat Dinge unserer Beziehung mehr nach außen gebracht, offen davon erzählt, ich war das Gegenteil. Aber es war eine gute Ergänzung.

NEUBEGINN „Erheben in eine andere Brigitte“ © Elena Zaucke

Bevor Klaus Bachler Peter 1999 an das Burgtheater holte, war er 20 Jahre an der Berliner Schaubühne gewesen. In dieser Zeit sind eure Söhne Benedikt und Kaspar geboren, und du hast auf deine Karriere verzichtet, um bei den Kindern zu bleiben. Peter hat mir gesagt, wie sehr er deine bewusste Entscheidung für die Familie bewundert und geschätzt hat.
Oh, wie schön! Ich war ja schon 35 Jahre, als ich den Benedikt bekam, hatte damit gar nicht mehr gerechnet. Mit seiner Geburt haben sich die Wertigkeiten verschoben. Ich wollte nicht Schauspielerin werden, um die große Karriere zu machen und viel Geld zu verdienen – ich wollte mich entwickeln, um eine gute Schauspielerin zu werden, den Menschen gute Geschichten zu erzählen. Dass Benedikt dann kam, war für mich ein noch viel größeres Geschenk. So wie ich als Schauspielerin gut und wahrhaftig sein wollte, so wollte ich es auch als Mutter sein. Dass ich zu Hause geblieben bin, hat den Peter unterstützt und uns noch viel enger zusammengebracht. Das war ganz wichtig und schön für unsere Familie.

EINE LEGENDE Prof. Dr. h.c. Peter Simonischek 1946-2023 © Christian Mastalier

In einem Gespräch über Glattauers E-Mail-Roman „Gut gegen Nordwind“ hat Peter gesagt, er kenne nicht den Nordwind, jedoch den Vollmond. „Da liege ich gerne in der Nacht wach, höre meine Frau neben mir schlafen, ihre Atemzüge. Ich liebe diesen Zustand so sehr.“
Wahnsinn! Du machst mir Geschenke, Angelica!

Ich habe auch einmal mit Peter über Philip Roths Roman „Jedermann“ gesprochen, den er mit großer Begeisterung gelesen hatte. Darin schreibt Roth: Das Alter ist ein Massaker. Peter hat dabei gemeint, wie demütigend es sei, wenn Menschen allein in einem Heim alt werden müssen, und davon erzählt, dass sich sein Vater dieses „Massaker“ selbst erspart hatte. Ist dir das zu privat?
Nein, es ist ein sehr wichtiges und großes Thema, über das ich gerne reden möchte. Schon seit vielen Jahren habe ich mich für die Hospiz-Bewegung, deren Präsidentin damals Waltraud Klasnic war, interessiert. Das Wissen darüber, dass es das gibt, gehört hinausgetragen. Es ist ein bisschen wie mit dem Mutter-Kind-Pass, der einmal eingeführt wurde und heute selbstverständlich ist. Genauso ist es mit dem Sterben. Wir verdrängen es dermaßen aus unserem Leben, aber wenn wir uns damit auseinandersetzen, ist es eine Bereicherung fürs Leben. Ich habe sogar daran gedacht, eine Ausbildung in der Sterbebegleitung zu machen.

Ihr habt vor zwei Jahren eine Patientenverfügung unterschrieben …
Ja, denn mit Schläuchen zu vegetieren, das wollten wir nicht. Nun hat Peter ja um seinen Zustand gewusst und gesagt, er möchte, dass die Waltraud kommt, um sie um einen Hospizplatz zu bitten. Waltraud hat ihm dann einen Hospizplatz gleich am nächsten Tag unter einem anderen Namen zugesagt. Obwohl man dort extrem gut betreut wird, wollten Peter und ich diesen Schritt noch nicht gehen. Dann kam von den wunderbaren Leuten des mobilen Hospiz-Teams das Angebot, ihn vorerst zu Hause zu besuchen. Jede Woche kamen Mitarbeiter aus dem Team zu uns. Ich habe ein Krankenbett besorgt, mit dem wir ihn in der Wohnung herumfuhren, bevor er abends in sein eigenes Bett konnte. Wir haben mit ihm gefeiert, gelacht, Feuer im Kamin angezündet, unser Leben um ihn herum aufgebaut. Irgendwann konnte er nicht mehr in sein eigenes Bett zurück. Da kamen dann die Kinder, und wir haben ihn beim Sterben begleitet. Das war ein ganz natürlicher Vorgang. Als der Pfleger am Dienstag nach Pfingsten wiederkam, sagte er: „Ich habe noch nie eine so entspannte Leiche gesehen.“ Damit will ich eigentlich sagen, man muss sich drauf einlassen, darf keine Angst haben, es gibt unglaublich viel Hilfe in diesem Land, und jeder kann sie bekommen. Man muss es nur wissen und offen sein dafür!

Ich bin dankbar, dass ich jetzt reden darf.

Brigitte Karner

Auf der Einladung zum Requiem beim „Peter Simonischek Literaturbrunnen“ in seiner Heimatgemeinde Markt Hartmannsdorf, dessen Ehrenbürger er auch ist, habt ihr geschrieben: „Der Tod eines geliebten Menschen ist die Rückgabe einer Kostbarkeit, die Gott uns geliehen hat.“ Wie tröstlich war der Glaube?
Ich empfinde es so – bei jedem Menschen. Jedes Leben ist eine Kostbarkeit, wir wissen es nur zu wenig zu schätzen. Der Glaube? Ja, wir haben gerne im Familienkreis gebetet, wenn es gepasst hat. Jedoch sind wir anspruchsvoll, was Kirche und Pfarrer betrifft. Wir haben den alten, jetzt pensionierten Pfarrer Rosenberger, der Peters Totenmesse gehalten und auch Benedikt getraut hat, hoch verehrt. Er war für uns ganz wichtig. Da hat der Glaube fließen können. Also, wir waren nicht für oder gegen die Kirche, wir waren für uns gläubig.

Nur einen Monat nach seiner Beisetzung wurde Peter zu Ehren ein großes Fest gefeiert: Am 15. Juli fand der von euch ins Leben gerufene südoststeirische Literaturwettbewerb „Wortschatz“ statt, bei dem die Siegerwerke 2023, gelesen von dir und Kaspar Simonischek, Barbara Horvath und Helmut Berger, präsentiert wurden. Wie war es für dich?
Es ist jetzt etwas ganz anderes. In diesem Moment denke ich nicht, wo ist der Peter? Es ist nun ein neuer Schritt. Wenn ich den Kaspar sehe, bin ich stolz. Er ist ein Komödiant, ein Naturtalent, er führt den Peter weiter, obwohl er erst 26 Jahre alt ist. Der Kaspar und ich werden am 17. Dezember in Graz ein Weihnachtsprogramm gestalten, zusammen mit der Perkussionistin Ingrid Oberkanins. Darauf freue ich mich.

Bei euren gemeinsamen Lesungen, sei es der Briefwechsel von Robert und Clara Schuhmann, Peter Iljitsch Tschaikowskijs Briefe an seine unsichtbare Geliebte Nadeshda von Meck oder das Programm „Ist das die Liebe?” über die Ehe von Lev Nikolajewitsch Tolstoi und Sofja Andrejewna Tolstaja, um nur einige zu nennen, habt ihr das Publikum tief berührt – verschmolzen diese Texte in ihrer Wahrnehmung doch zu oft mit euch als Protagonisten …
Ja, das stimmt! Am Anfang war es eine professionelle Arbeit, die immer mehr zu einer sehr persönlichen Begegnung von uns beiden als Paar wurde. Die Bühne gab uns dabei eine Möglichkeit, die wir im privaten Leben nicht hatten. Wobei das Probieren zu Hause gar nicht so toll war, denn ich bin jemand, der Publikum braucht. Sobald wir aber auf der Bühne waren, war es ein großes Ereignis. Denn keiner wusste, was der andere jetzt bieten würde (lacht). Da muss man sehr wach sein, aber es war so schön! Ich habe meinen Ehemann verloren, aber auch meinen besten Partner. Ich sage dir, das ist ein grausiger Schmerz, aber ich bin so dankbar, dass ich jetzt reden darf.

UNVERGESSLICH Am 6. August 1996 feierte Peter Simonischek in Salzburg seinen 50. Geburtstag – eine wunderbare Erinnerung, auch für Chefredakteurin Angelica Pral-Haidbauer. © Privat

Mit deinem Auftritt beim Festival „Offene Grenzen“ in Retz, zusammen mit Edgar Unterkirchner, hast du den Weg zurück auf die Bühne gefunden. Wie geht es weiter?
Ich habe gerade in Talin in Estland gedreht. Die deutschen Produktionen gehen jetzt mehr in die baltischen Länder, wir haben sozusagen Hamburg in Talin gemacht. Es ist ein großes Geschenk, wieder arbeiten zu können und Freude daran zu haben. Ich sage mir: „Du wolltest immer eine große Schauspielerin werden“ – und diesen Weg gehe ich jetzt strikt weiter und bin froh über jede Chance, die ich bekomme. Beim Sommertheater Meggenhofen 2024 werde ich unter der Intendanz von Fritz Egger im „Alpenkönig und Menschenfeind“ die Frau vom Rappelkopf spielen, und diesem grantigen Mann heftig Paroli bieten. Mit dem Peter Scholz habe ich schon die „Die Wildente“ gemacht, es ist also wie „zurück zur Familie“. Martin Leutgeb führt übrigens Regie.

Und auch der Barcelona-Krimi ist abgedreht und kommt Ende November ins ZDF …
Ja, das war auch ganz toll! Es geht um schwangere Mädchen, die damals in Spanien zu Tausenden in katholische Krankenhäuser zur Entbindung gelockt wurden. Nach der Geburt wurde ihnen gesagt, das Kind sei tot geboren. Eine dieser Schwangeren spiele ich. Sie ist heute eine ältliche, verzweifelte Klavierlehrerin. Im echten Leben konnte ich ja nicht verzweifelt sein, aber dort konnte ich es herauslassen. Dabei musste ich auch zwei Schnaufer synchronisieren – und hab mich dabei gar nicht selber erkannt.

In einem neuen Projekt spielst du eine berühmte Modeschöpferin, eine Großmutter, die als Diktatorin in der Familie auftritt …
Ja, ich darf mich jetzt aus der traurigen Brigitte, wenn du willst, erheben in eine andere. Mehr kann ich dazu noch nicht verraten, aber lasst euch überraschen!

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