
Perla: Das Interview zum Kinostart
Zum Kinostart ihres packenden Dramas treffen wir Filmemacherin Alexandra Makarová und Simon Schwarz, der eine der Hauptrollen verkörpert.
Perla: Alexandra Makarová und Simon Schwarz © Vanesssa Hartmann
Eine Mutter zwischen zwei Welten: Den Eisernen Vorhang gibt es nicht mehr und doch ist die Geschichte von Perla aktueller denn je, erklären Filmemacherin Alexandra Makarová und Simon Schwarz im Gespräch.
Perla scheint glücklich. Und in Wien angekommen. Trotzdem ist da immer ein kleiner Türspalt. Und das liegt nicht allein daran, dass der Vater ihres Kindes in der Tschechoslowakei bleiben musste.
Plötzlich ruft er an, stellt einen Fuß in den Spalt und zieht ihn so lange dort nicht raus, bis Perla durch die Tür geht. Zurück in ihre alte Heimat, wo der Geschmack von Brimsennocken wie eine Umarmung einer alten Freundin ist. Aber wo 1981 das kommunistische Regime und die Sowjetunion das Sagen haben. Wo es als Verrat und Verbrechen gilt, dass sie dem Land den Rücken gekehrt hatte.
Und dann wird Perla – mit herausragender Durchdringung von Rebeka Poláková gespielt – eine Entscheidung treffen, die nicht der gesellschaftlichen Vorstellung von einer Mutter entspricht. Bis heute nicht. Weil nur zu gern darauf vergessen wird, dass die Frau auch abseits des Mutterseins denkt, fühlt, lebt.
Alexandra Makarová schuf mit „Perla“ einen Film, der in seinen schönen, von Liebe getragenen Szenen genauso kompromisslos ist wie in der Schonungs-losigkeit jener Szenen, die den Kampf einer Frau gegen ein politisches Regime und gegen perfide patriarchale Strukturen zeigen.

Wie viel Herzblut steckt in „Perla“?
Alexandra Makarová: Volles Herzblut. In der Figur, in der Geschichte und dem Thema. Am Anfang wollte ich herausfinden, inwieweit es vereinbar ist, Mutter zu sein und gleichzeitig als Frau nur für sich selbst Entscheidungen zu treffen. Jedenfalls habe ich mich von mehreren Frauen in meiner Familie inspirieren lassen und es von dort aus immer weiter entwickelt, weg von einer reinen Mutter-Tochter-Beziehung hin zu vielen weiteren Aspekten.
Du hast mit dem Drehbuch den Wettbewerb „If she can see it, she can be it“ gewonnen. Wieso diese Geschichte?
Alexandra: Ich habe 2012 zu schreiben begonnen, es spielte zunächst – vielleicht aus Selbstschutz – in der Ukraine (sie kam als Kind aus der Tschechoslowakei nach Wien, Anm.). Damals hat es mit der Finanzierung nicht geklappt. Als ich von dem Wettbewerb hörte, dachte ich: Perfekt, hier werden Frauenfiguren jenseits der Klischees gesucht. Das ist eine tolle Prämisse, um sich selbst auf die Finger zu klopfen und zu fragen: Beschreibe ich jetzt wieder eine Figur, die ich schon hundertmal gesehen habe? Mutterfiguren in Filmen sind oft einseitig. Wenn sie keine Bösewichte sind, lieben sie ihre Kinder, sind aufopfernd und warmherzig. Aber das bietet keine neuen Ansätze. Ich sehe die Mütter im Kindergarten oder in meinem Freundeskreis und stelle fest, dass sie viel facettenreicher sind, aber diese „anderen“ Mütter sieht man im Film kaum.
„Perla“ spielt in Wien und der ehemaligen Tschechoslowakei in den 1980ern – wieso diese Zeit?
Alexandra: Ich habe gestern meiner Oma den Film gezeigt, sie hat geweint, weil bei ihr so viel hochgekommen ist. Ihre Eltern waren russische Flüchtlinge, die 1917 von der Tschechoslowakei aufgenommen wurden; 1945 kam ihr Großvater in russische Gefangenschaft. Meine Oma ist 89 und all das beschäftigt sie bis heute. Der persönliche Aspekt, irgendwo fremd zu sein, betrifft mich selbst. Der politische Aspekt fesselt mich sehr. 1981, wo der Film spielt, war ich noch nicht auf der Welt, trotzdem gehen mir die Themen sehr nah, weil sie zeitlos sind. All das – die Geschichte könnte auch zwischen Mexiko und den USA spielen – bleibt ein Leben lang und darüber hinaus. Es wird von einer an die nächste Generation weitergegeben. Ich habe den Film gemacht, damit man darüber redet, was hier passiert ist und heute noch nachwirkt.

Perla ist Künstlerin, du hast für den Film Arbeiten deiner Mutter Saša Makarová verwendet, die gerade in der Landesgalerie ausgestellt sind. Wieso?
Alexandra: Perla hätte einen anderen Charakter, wenn sie beispielsweise als Krankenschwester in einem Team arbeiten würde. Sie hat einen Beruf, in dem sie allein ist, allein kämpft und allein ihre Gefühle und Ideen auf die Leinwand bringt. Die Malerei meiner Mutter ist expressiv und farbintensiv, ich wollte diese Kraft in den Bildern mitnehmen.
Simon, du spielst Josef, Perlas Mann in Wien. Du und Alexandra seid privat ein Paar, wie kam es zu dieser Zusamenarbeit?
Simon Schwarz: Tatsächlich hatte ich im privaten Gespräch einen tollen deutschen Kollegen vorgeschlagen, aber die Geldgeber*innen wollten, dass ein Österreicher die Rolle spielt. Da wurde auch ich von der Casterin vorgeschlagen, wohl wissend, dass wir verheiratet sind. Aber auch ich musste mich einem Casting stellen, und das gerne, wir trennen privat und beruflich konsequent.
Alexandra: Dass du es geworden bist, hab’ nicht ich dir gesagt (lacht).
Simon: … und ich war sehr froh über die Rolle.
Wie war die Zusammenarbeit? Da sind auch starke intime Szenen.
Alexandra: Ich hatte Angst, wie das sein wird. Aber als Simon ans Set gekommen ist, habe ich ihn nicht mehr als meinen Mann gesehen. Ich habe die Zusammenarbeit sehr genossen, weil er ein toller Schauspieler ist und sehr schnell umsetzt, was man ihm sagt.
Intime Szenen sind mir generell unangenehm, das war schon beim Schreiben so. Ich habe mir genau überlegt: Wo brauche ich die Intimität, was erzählt sie mir gerade? Die Szenen, die im Film sind, sind absolut notwendig. – (zu Simon) War es für dich unangenehm?
Simon: Das ist es immer. Man muss schon ein Narzisst oder ein Exhibitionist sein, damit man das lustig und schön findet (lacht). Warum ich gut trennen kann, liegt daran, dass ich zu hundert Prozent versuche, in meine Rolle hi-nein-zugehen. Das macht jede*r anders, meine Art geht stark über Emotionen, ich kann alles abschalten und bin dann quasi ein bisschen mehr für meine Filmfamilie da als für meine. In dem Fall war das komplizierter, weil ich für die Drehzeit mehr oder weniger alleinerziehender Vater war. Ich habe aber oft genug erlebt, wie meine Filmpartnerinnen das managen. Bei uns war es eben umgekehrt.

Die Zusammenarbeit selbst fand ich wahnsinnig schön, weil ich Sashi (Spitzname, Anm.) als Regisseurin grandios finde, sie ist außerordentlich in ihrer Arbeit. Auch das Drehen mit meiner Filmpartnerin und meiner Filmtochter war sehr harmonisch. Schwierig war nur, dass wir uns aufgrund der sprachlichen Barrieren (Rebeka Poláková ist Slowakin, Anm.) kaum unterhalten konnten. Aber wir sind beide sehr driven in unserer Arbeitsweise (stark von einer inneren Antriebskraft geleitet, Anm.) und lassen uns sehr auf den anderen ein. Es war faszinierend, wie ähnlich wir ticken.

Ich habe den Film gemacht, damit man darüber redet, was alles hier passiert ist und was das mit heute zu tun hat.
Alexandra Makarová, Drehbuchautorin und Regisseurin
„Perla“ hat Momente zum Schmunzeln, aber es ist ein starkes Drama. Die breite Öffentlichkeit kennt dich vermutlich mehr aus Komödien …
Simon: Das ist ein Problem, das man als Schauspieler*in oft hat. Wenn ich mir meine Biografie anschaue, hatten die Dramen, die ich gespielt habe, viel Erfolg und bekamen diverse Preise. Nur geht das in der Vielzahl an bekannten Komödien unter. Es gibt im deutschen Sprachraum wirtschaftlich kaum was Erfolgreicheres als beispielsweise die Eberhofer-Reihe (zuletzt: „Rehragout–Rendezvous“, Anm.).
Was spielst du lieber?
Simon: Ich liebe es, Dramen zu spielen, sie zu schauen weniger. Ich heule oder ärgere mich, ich falle zu tief rein. Das sehen viele anders, aber für mich ist es das Leichteste, sie zu spielen: Ich lasse meinen Emotionen freien Lauf. Eine Komödie ist viel schwieriger. Was ist lustig? Ich weiß es bis heute nicht.
Ein spannender Aspekt ist die Rolle des Kindes, von Perlas Tochter. Auch sie muss kämpfen.
Alexandra: Julias Figur ist sehr nah an mir, an meinen Erinnerungen. Sie wird immer wieder sehr erwachsen behandelt, darum sollte sie auch nicht einfach „das Kind im Film“ sein, ihr eigenständiger Charakter war mir wichtig. Carmen Diego (die junge Schauspielerin, Anm.) ist toll! Sie ist emotional sehr reif, konnte schnell switchen und im nächsten Moment wieder Kind sein. Sie sagt, dass sie es einfach liebt, jemand anderer sein zu können. Dass sie das so früh benennen kann, ist spannend. Ich glaube, das ist nur möglich, wenn man weiß, wer man ist. Sie ist zielstrebig und hat eine ganz tolle Familie hinter sich.

Die renommierte Künstlerin Rusanda Panfili, die in Neusiedl am See lebt, ist eine der Komponist*innen, Monika Buttinger ist für die geniale modische Transformation verantwortlich, deine Editorin ist die preisgekrönte Joana Scrinzi, um nur einige aufzuzählen. Hast du bewusst für möglichst viele Departments Frauen gesucht?
Alexandra: Ich mache das bewusst und in dem Fall war es auch so, dass die Menschen, die ich am spannendsten fand, auch tatsächlich Frauen waren. Es gibt auch Departments, wo man für gewöhnlich eher herberen Typen begegnet, wir aber hatten beispielsweise mit Kimber Lee Jerrett eine tolle Oberbeleuchterin und Kameramann Georg Weiss hat darauf geachtet, dass er eine weibliche Kameraassistentin hat. Ich glaube, das ist generell sehr gut für das Arbeitsklima.
Simon, war für dich dadurch eine „andere“ Energie spürbar?
Simon: Ich sehe das naturwissenschaftlich: Je höher die Diversität, desto schöner ist das Land. – Aber mit Regisseurinnen erlebe ich meistens eine positivere Arbeitsweise als an einem männlich dominierten Set, das durchaus lauter sein und einen Wettkampfcharakter haben kann. Film ist ein Teamsport, es geht nicht um eine Einzelleistung, ein Schauspieler ist nur ein kleiner Teil.
Was wünschst du dir für „Perla“?
Alexandra: Ich verfolge die Nachrichten besonders zum Angriffskrieg auf die Ukraine intensiv, die Aktualität von „Perla“ wird größer und größer. Umso mehr liegt es mir am Herzen, dass die Menschen den Kontext zur heutigen Situation herstellen und sich fragen: Was kann ich an meiner Denkweise ändern? Was kann ich tun? Mir sind zwei Dinge besonders wichtig: sich mit der Ukraine solidarisch zu zeigen und dem Populismus Einhalt zu gebieten.

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