Die Medizin wird weiblicher
Das Landesklinikum Baden-Mödling steht seit Jahresbeginn unter einer weiblichen Führung: Die anerkannte Kinderherzchirurgin Claudia Herbst wurde ärztliche Direktorin – mit visionärem Denken und aus ganzem Herzen.
© LK Baden/Mödling
Das Landesklinikum Baden-Mödling steht seit Jahresbeginn unter einer weiblichen Führung: Die anerkannte Kinderherzchirurgin Claudia Herbst wurde ärztliche Direktorin – mit visionärem Denken und aus ganzem Herzen.
Frau Doktor Herbst, neben dem Landesklinikum Hollabrunn sind Sie die erst zweite Frau in dieser Position in Niederösterreich. Was hat Sie dazu bewogen, von Ihrer chirurgischen Tätigkeit in die Verwaltung und Organisation zu wechseln?
Mein Blick ist schon seit dem Medizinstudium über die Grenzen der Medizin hinausgegangen. Für mich ist die Verbindung der Medizin mit anderen Bereichen, wie der Wirtschaft oder dem Recht, faszinierend. Gesundheitseinrichtungen sind Orte, in denen alle diese Gebiete vielfältig aufeinandertreffen, und in der Position der ärztlichen Direktorin kann ich selbst alle diese Bereiche verbinden. Ich kann die Gesundheitsmitarbeiter der Organisation unterstützen und auf eine bestmögliche Patientenversorgung achten.
Die NÖ Landesgesundheitsagentur als Arbeitgeber fördert Frauen in Führungspositionen. Als Frau in dieser Position fühle ich mich sehr wohl. Das beruht darauf, dass ich als gleichwertige Partnerin im Führungsteam in meinem Klinikum und in Kooperation mit anderen Kliniken angenommen werde. Der Umgang mit der Belegschaft ist bilateral respektvoll, wertschätzend und unterstützend. Auch mir persönlich ist es wichtig, Frauenförderung umzusetzen.
Baden-Mödling ist das drittgrößte Klinikum Niederösterreichs. Welche Bilanz können Sie nach nun zwei Monaten ziehen?
Das LK Baden-Mödling besteht aus zwei modernen Häusern. Hier arbeiten tolle Teams zusammen. Mit dem LK Baden-Mödling, als Teil der Gesundheitsversorgung in der Thermenregion des südlichen NÖ, hat die NÖ LGA ein Konzept umgesetzt, in dem das Ganze viel mehr ist als die Summe seiner Teile. Mit einer Schwerpunktsetzung des jeweiligen Standortes sowie standortübergreifenden Teams, in der Patientenversorgung und Ausbildung wurde visionäres Denken durch das Bündeln von Ressourcen und Nutzen von Synergien realisiert.
In den drei Jahren Coronapandemie war gerade das Gesundheitspersonal sehr gefordert…
Ja, das kann man definitiv nicht leugnen! Das Gesundheitspersonal hat in dieser Zeit besonderes geleistet, aber wie auch in anderen Branchen, ist bei uns der Bedarf an zusätzlichem Personal ein Thema. Derzeit suchen wir in verschiedensten Fachrichtungen. Waren noch vor ein paar Monaten alle Dienstposten besetzt, suchen wir aktuell interessierte Ärztinnen und Ärzte, vor allem für Innere Medizin, sowie Gesundheitspersonal. Auch wenn alle Dienstposten besetzt sind, heißt das leider nicht immer, dass die Arbeitskraft physisch da ist, denn manche Kolleginnen oder Kollegen befinden sich im Krankenstand, in Fortbildungen oder in Altersteilzeit. Durch unsere hochprofessionellen Teams gelingt es uns aber dennoch, die Versorgung der Patienten jederzeit zu gewährleisten. Auch die Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie Hinterbrühl, die zu unserem Standort Mödling gehört, sucht Ärztinnen und Ärzte – auch hier freuen wir uns über Bewerbungen. Auffallend ist trotz der Problematik des Gesundheitssystems die spürbare Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter; sie wollen einer sinnerfüllten Tätigkeit nachgehen und anpacken.
Sie haben sich in Ihrer Ausbildung auf Kinderherzchirurgie spezialisiert, trugen maßgeblich zum Aufbau des Kinderherzzentrums Wien bei, Ihre Expertise führte zu Berufungen in den Vorstand zahlreicher nationalen und internationalen Organisationen, wie auch der St. Anna Kinderkrebs Forschung. Ist Ihnen der „Abschied“ von den kleinen Kinderherzen schwergefallen?
Ich habe mir diese Entscheidung nicht leicht gemacht und sie im Vorfeld sehr gut überlegt. Bei meinem Abschied bin ich mit ganzem Herzen in die neue Aufgabe gegangen. Für mich war ein bewusster Entschluss sehr wichtig. Es gibt viele Momente, in denen ich mit einem Lächeln an die Zeit mit den kleinen Patienten zurückdenke.
Neben Ihrer neuen Aufgabe sind Sie auch Ehefrau und Mutter eines vierjährigen Sohnes. Wie können Sie entspannen?
Tatsächlich ist die Zeit mit meiner Familie für mich Entspannung. Ich nenne das „Qualitätszeit“. Das beruht darauf, dass man mit vollem Fokus in einer Zeitspanne mehr erleben oder erreichen kann als in einer längeren Zeitspanne mit ständiger Ablenkung. Meine ganze Aufmerksamkeit gehört dann meinem Sohn und meinem Mann. Besonders schön ist es, wenn wir die Zeit zusammen in der Natur in Niederösterreich verbringen, in Rohr im Gebirge, wo unsere Familie ihre Wurzeln hat.
Sie haben an der Medizinischen Universität Wien und der Akademie für Fortbildungen und Sonderausbildungen im Bereich Pflege des Wiener Gesundheitsverbundes unterrichtet. Was möchten Sie den zukünftigen Ärztinnen und Pflegerinnen mitgeben?
Das Lehren hat mir immer schon große Freude bereitet. Im Vordergrund steht für mich, eine Begeisterung für ein Thema zu wecken. Mein Rat ist, den Blick immer über die Grenzen des Fachbereichs hinaus offen zu halten. Daraus kann oft unerwartete Innovation entstehen. Außerdem den Mut zu haben, auch unerforschte Wege zu gehen und sich weiterzuentwickeln. Junge Frauen im Beruf sind immer mit der Tatsache Familienplanung und Kinderbetreuung konfrontiert. Meines Erachtens gibt es nicht den einen richtigen Moment, sondern nur individuelle Überlegungen. Wenn man das Gefühl hat, das System ist zu starr, dann hilft oft die Frage: Wie kann ich mich bewegen? Bleibt man Aschenputtel oder durchbricht man die gläserne Decke?
Gibt es eine „weibliche Handschrift“ in der Medizin?
Von der Antike bis zur Neuzeit gab es bedeutende Frauen in der Geschichte der Medizin. Das beginnt bei Agnodike, einer griechischen Ärztin. Es gab auch schon früh Frauen, die bereichsübergreifend interessiert waren, wie die Universalgelehrte Hildegard von Bingen, die sich mit Religion, Medizin, Musik, Ethik und Kosmologie beschäftigte, oder Maria Montessori, eine Ärztin, die sich zusätzlich mit Pädagogik befasste. Bisher wurde zwölf Mal der Nobelpreis der Medizin oder Physiologie an Frauen vergeben. Die erste weibliche Nobelpreisträgerin für Physik war Marie Curie. Sie erhielt ihn für die Entdeckung der Radioaktivität. Florence Nightingale war eine Pionierin der Krankenpflege und Wissenschaften. Und Cécile Vogt, Neurologin und Neurowissenschaftlerin. Die Liste könnten man lange fortsetzen. Die Medizin wird immer weiblicher, mehr als die Hälfte der Absolventen der medizinischen Universitäten sind weiblich – und auch bei uns in der NÖ LGA sind in den Kliniken fast drei Viertel aller Mitarbeiter weiblich. Man wird in der Zukunft von weiteren interessanten Frauen in der Medizin hören.