Sunday Scaries Thema Tirolerin

Immer wieder sonntags: Was hinter „Sunday Scaries“ steckt

Psychologin Anna Köstler erklärt, was hinter den „Sunday Scaries“ steckt.

6 Min.

© Pexels/Skylake

Der Sonntag sollte für Entspannung sorgen – doch für viele bedeutet er vor allem eines: Bauchweh, Herzrasen, Gedankenkarussell.

Sonntagabend

Eigentlich der perfekte Zeitpunkt, um nochmal durchzuatmen, die letzten Stunden des Wochenendes zu genießen und vielleicht noch einen Spaziergang zu machen oder einen Film zu schauen. Doch statt Entspannung machen sich bei vielen Unruhe, Bauchweh und ein nervöses Kribbeln breit. Die Gedanken sind längst beim Montag, bei To-do-Listen, Mails und Deadlines. Dieses beklemmende Gefühl hat mittlerweile einen Namen: Sunday Scaries.

Meme meets Mindset

Auf Plattformen wie TikTok, Reddit oder Instagram häufen sich Posts und Videos zum Thema – mal humorvoll, mal ernst. Was früher als harmloser „Sonntagabendblues“ galt, wird heute unter jungen Menschen als konkretes Phänomen wahrgenommen. Doch was steckt wirklich dahinter? Warum schlägt uns der Sonntag so häufig aufs Gemüt? Und was hilft, wenn die innere Unruhe regelmäßig den Wochenendausklang dominiert? Wir haben mit Anna Köstler gesprochen. Die klinische Psychologin arbeitet bei Phobius in Wien und ist auf Angststörungen spezialisiert. Sie weiß genau, warum uns der Sonntag so oft aufs Gemüt schlägt – und was wir dagegen tun können.

Viele Menschen kennen das ungute Gefühl am Sonntagabend, bevor der Montag und die Arbeitswoche wieder starten – doch was genau steckt psychologisch hinter den sogenannten Sunday Scaries?

Anna Köstler: Das kann viele Ursachen haben. Psychologisch ist es oft ein Übergang – vom Wochenende, das mit Entspannung und Freizeit verbunden ist, zur bevorstehenden Arbeitswoche. Unser Stressniveau sinkt am Wochenende – und dann kündigt sich der Montag mit all seinen Herausforderungen an. Dieser Wechsel löst bei vielen innerliche Anspannung aus.

Klinische Psychologin Anna Köstler
© Felix Hohagen

Viele malen sich im Kopf Szenarien aus, die am Montag passieren könnten – und fühlen sich dann schon am Sonntag, als wären sie mitten im Chaos.

-Anna Köstler, klinische Psychologin
Wie äußern sich die Sunday Scaries bei den meisten Menschen – eher körperlich, emotional oder gedanklich?

Das ist ganz unterschiedlich. Manche sind unruhig, können sich nicht konzentrieren, andere haben Bauchschmerzen oder Schlafprobleme. Viele erleben schwitzende Hände, erhöhten Puls oder kreisende Gedanken. Ein häufiges Symptom ist Muskelanspannung. Meist ist es eine Mischung aus körperlichen Reaktionen, die auf Angst oder Stress folgen sowie kreisende Gedanken.

Wie entstehen diese Gefühle? Liegt es nur an der Aussicht auf die Arbeitswoche – oder spielen auch tiefere psychologische Muster eine Rolle?

Das hängt stark von der Persönlichkeit ab. Manche Menschen haben von Haus aus eine ängstlichere Sicht auf die Welt. Menschen mit einer generell ängstlicheren Sichtweise oder vielen Grübeleien sind oft stärker von Sunday Scaries betroffen. Es spielt auch eine Rolle, ob ich das Gefühl habe, den kommenden Tag bewältigen zu können – oder nicht. Und wer gerade in einer Umbruchphase ist, beruflich oder privat, reagiert ebenfalls sensibler.

Kann es auch zur Angst vor der Angst kommen – also so eine Art Teufelskreis?

Ja, das kann natürlich passieren. Viele haben zum Beispiel Angst davor, dass sie wieder nicht schlafen können, und haben Gedanken, die sich ständig darum drehen – das verstärkt das Ganze natürlich noch. Wie eine Art Konditionierung, ein angelerntes Muster. Aber auch das kann man therapeutisch angehen und verändern.

Sunday Scaries Thema Tirolerin
© Shutterstock
Was sind aus Ihrer Sicht die effektivsten Strategien, um diesen Gefühlen entgegenzuwirken – kurzfristig wie langfristig?

Kurzfristig ist Bewegung sehr hilfreich – rausgehen, spazieren, Sport machen. Damit kann die durch Angst erzeugte Energie abgebaut werden. Wichtig ist auch, die Gefühle nicht wegzudrücken, sondern zu beobachten: Was genau macht mir Angst? Welche Gedanken wiederholen sich? Langfristig kann es helfen, mit Freund:innen zu sprechen, sich Bücher zu suchen – oder auch therapeutische Unterstützung, wenn man merkt, man kommt alleine nicht weiter.

Ist es also sinnvoller, bewusst aktiv zu sein, statt einfach „nur“ auszuruhen und nichts zu tun?

Ja, genau. Wenn Angst entsteht, werden Cortisol und Adrenalin ausgeschüttet – das macht den Körper unruhig. Bewegung hilft, diese Spannung zu lösen. Es muss kein Sportprogramm sein – auch ein Spaziergang kann reichen. Hauptsache, der Körper kann die Energie wieder loswerden.

Bewegung hilft, die Energie abzubauen, die durch Angst
im Körper freigesetzt wird.

Anna Köstler, klinische Psychologin
Inwiefern beeinflussen moderne Arbeitsmodelle wie Homeoffice oder die ständige Erreichbarkeit via Smartphone die Sunday Scaries?

Das liegt ziemlich auf der Hand: Wenn ich beruflich ständig erreichbar bin, auch am Wochenende, dann schalte ich nie wirklich ab. Ohne klare Trennung zwischen Arbeit und Freizeit bleibt man innerlich im Arbeitsmodus. Natürlich kann Homeoffice auch gut funktionieren – das kommt ganz auf den Menschen an. Für viele ist es jedoch wichtig, klare Grenzen zu setzen und bewusst Feierabend zu machen.

Ab wann würden Sie sagen: Die Sunday Scaries sind nicht mehr nur ein Warnsignal, sondern ein handfester Hinweis darauf, dass man über eine berufliche Veränderung oder sogar Kündigung nachdenken sollte?

Wenn ich dauerhaft unzufrieden bin, keine Sinnhaftigkeit mehr in meiner Arbeit sehe, mich nur noch innerlich erschöpft fühle – oder auch an körperlichen Symptomen wie Schlafstörungen, Anspannung und Unruhe bis hin zu Panikattacken leide. Dann ist es auf jeden Fall höchste Zeit, über eine Veränderung nachzudenken.

Was würden Sie sich gesellschaftlich im Umgang mit mentaler Gesundheit rund ums Arbeitsleben wünschen?

Ich wünsche mir, dass man offen sagen kann: „Ich bin gerade überfordert.“ Ohne Angst vor Stigmatisierung. Es braucht ehrliche Gespräche, mehr Wissen über mentale Gesundheit und Arbeitgeber:innen, die nicht erst handeln, wenn jemand ausfällt – sondern vorher: mit Vorträgen, Workshops und einem offenen Ohr für Belastung.

Über Phobius – Phobiezentrum

Phobius hat sich auf die Therapie von Phobien, Ängsten und Panikattacken spezialisiert. Das psychologische Zentrum hat Standorte in Wien, Graz, Klagenfurt, Villach und Judenburg. Weitere Infos unter: www.phobius.at

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Über die Autorin:

Kultur-Redakteurin Tjara-Marie Boine bei der TIROLERIN
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Tjara-Marie Boine ist Redakteurin für die Ressorts Business, Leben und Kultur. Ihr Herz schlägt für Katzen, Kaffee und Kuchen. Sie ist ein echter Bücherwurm und die erste Ansprechpartnerin im Team, wenn es um Themen wie Feminismus und Gleichberechtigung geht.

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