Was lernen wir von Kassandra?
Sommerspiele Melk: Was in Magda Woitzucks Drama steckt, und wie es Christina Gegenbauer, die erstmals in Niederösterreich inszeniert, auf die Bühne bringt.
© Daniela Matejschek
Dass Christina Gegenbauer in ihrem eigenen Bett schläft, kommt nicht allzu häufig vor. Zuletzt inszenierte sie am Salzburger Landestheater, in Göttingen, Bielefeld und Nürnberg, um nur einige Städte zu nennen. Nach dem Sommer gastiert sie mit der Produktion „Ich bin Vincent und ich habe keine Angst“ in München, in Rostock führt sie das erste Mal Regie bei einer Oper, einer Neukomposition von „Der Zauberer von Oz“, und in Trier inszeniert sie Robert Seethalers Meisterwerk „Der Trafikant“.
Dazwischen aber wird das Leben der leidenschaftlichen Regisseurin um ein bedeutendes Kapitel reicher – und ihr Bett bleibt mal für mehrere Wochen nicht verwaist. „Ich freue mich sehr, dass ich zum ersten Mal in meinem Heimatbundesland inszeniere“, sagt die Herzogenburgerin, der nach 20 Jahren Alexander Hauer die Regie für die Sommerspiele Melk 2023 übergab.
Zur Aufführung gelangt „Kassandra und die Frauen Trojas“, ein Auftragswerk aus der Feder der mehrfach preisgekrönten Autorin Magda Woitzuck, sie ist ebenfalls eine Niederösterreicherin (empfehlenswert packend: u. a. ihre Hörspiele bzw. ihr Roman „Über allem war Licht“).
„Kassandra und die Frauen Trojas“ – was passiert mit dem Stoff aus der Mythologie?
Christina Gegenbauer: Magda Woitzuck blendet die griechische Mythologie aus, es wird zu einer Familiengeschichte; ich war total beeindruckt, wie viel Handlung sie eingewoben hat. Es geht darum, wie Kriegsgräuel Menschen verändern, wie sie mit Verlust umgehen, wie sie einem Patriarchen begegnen und was sie sich gefallen lassen oder sogar müssen, um nicht ihren Platz in der Gesellschaft zu verlieren.
„Ich würde Widerstand leisten.“ – Der Satz ist leichter zu sagen, wenn man nicht selbst in der entsprechenden Situation ist. Widerstand braucht die Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen, die Realität zu akzeptieren und den Mut, die Stimme zu erheben. Da können wir uns einiges von Kassandra abschauen; sie geht ein großes Risiko ein und wird dann auch eingesperrt. (Die Weissagerin warnt die Trojaner vor Unheil, aber niemand glaubt ihr, Anm.)
Wo siehst du die Brücken in die Gegenwart?
Es ist eine alte Geschichte mit zeitgemäßen Themen: Wie bezieht man Stellung, wenn jemand angegriffen wird? Was ist Nationalstolz oder Stolz überhaupt? Wann unterstützen einander die Frauen, wann treten sie in Konkurrenz zueinander?
Dürren, Erdbeben und der Krieg machen das Leben poröser, der Herrscher, Vater und Schwiegervater Priamos zeigt immer mehr sein wahres Gesicht und wird skrupellos. Es geht um ein krankes System und darum, wie sich darin die Menschen verhalten. Wie kann man das verändern und aufbrechen, wie kann man ein krankes System heilen? Das sind die Fragen, die mich interessieren.
Wie ist dein Bezug zu den Sommerspielen?
Ich habe ganz jung „Nibelungen“ gesehen und kann mich bis heute genau an das Bühnenbild, die Atmosphäre, die starken Schauspielerinnen erinnern – das war total episch. Ganz besonders ist natürlich der Blick auf Stift Melk, das in unserer Produktion für das Abgehobene, für die sogenannte „Erste Welt“ oder – wie Magda Woitzuk sagt – für den Palast in den Wolken steht.
Mich interessiert die Frage: Wie kann man ein krankes System aufbrechen und heilen?
Christina Gegenbauer, Regisseurin
Apropos Location: Was dürfen wir über Bühnenbild und Co. erfahren?
Ich freue mich irrsinnig, auf so einer großen Bühne zu arbeiten. Wir haben zwar das Zelt, aber es ist offen und somit für mich auch das erste Mal, dass ich im Freilufttheater inszeniere. Eine völlig neue Herausforderung für mich: Die erste Stunde wird es hell sein, ich kann da also nicht wie gewöhnlich mit Bühnenlicht arbeiten.
Das Bühnenbild macht Daniel Sommergruber; wir teilen uns das mit Andy Hallwaxx‘ Musikrevue „One Vision“, es werden ja im Sommer zwei Produktionen in Melk aufgeführt. Wir machen zwar ganz unterschiedliche Sachen, aber haben uns total schnell auf einen Entwurf geeinigt, das ist super.
Großartig sind unsere Kostümbildnerinnen: Ich arbeite das erste Mal mit Julia Klug und Nina Holzapfel zusammen, aber wir waren sofort auf einer Wellenlänge. Wir können den beiden richtig dabei zusehen, wie sie vor unserer Probebühne diese wunderschönen Kleider nähen; teilweise machen sie dabei auch Upcycling.
Was dürfen wir über deine Inszenierung erfahren?
Es wird sehr körperlich, sogar ein wenig choreografisch. Ich arbeite mit Übertreibungen und Rhythmus, das strukturiert die Sprache; ich lege immer viel Wert auf präzise Sprache. Jedenfalls hatten die Schauspielerinnen nach den ersten Proben Muskelkater (lacht). Die Musik macht ein ganz toller Künstler: Nikolaj Efendi.
Ihr habt mehrmals erfolgreich zusammengearbeitet, was plant er für „Kassandra und die Frauen Trojas“?
Nikolaj Efendi arbeitet viel mit Percussions und Trommeln, um die Kriegsmaschinerie hörbar zu machen. Als Kontrast dazu werden weibliche Stimmen und elektronische Impulse erklingen. Er will die Produktion auch ganz rhythmisch angehen. Ich finde die Idee sehr spannend, damit dem Abend einen Herzschlag zu geben.
SOMMERSPIELE MELK
„Kassandra und die Frauen Trojas“: 14. Juni bis 29. Juli
„One Vision: Überdosis G‘fühl“: 5. Juli bis 14. August
„Berni Bernstein und das Geheimnis der Glaskugel“: 23. Juli bis 5. August
Infos und Tickets: www.sommerspielemelk.at