Natur hinter Glas

Ein knapp 14 Quadratmeter großes Schaufenster gibt den Blick zu einem „Naturschauspiel“ frei, das wir täglich übersehen, und regt zum Nachdenken über den Wert unserer Böden an.

3 Min.

© Joanna Pianka

Ausgerechnet während diese Zeilen entstehen, poppt als „Breaking News“ folgende Schlagzeile am Bildschirm auf: „Bodenversiegelung ist Österreichs größtes Problem.“ Laut aktuellem Bodenreport des WWF werden im Schnitt mehr als elf Hektar täglich verbraucht, das sei „um mehr als das Vierfache über dem bundesweiten ,Nachhaltigkeitsziel‘ von 2002“, heißt es darin.

Elisabeth Falkinger stellt den Boden aus. Durch ein 2,5 Meter hohes und 5,5 Meter breites Schaufenster kann man seit Mai in Weikendorf beobachten, was passiert, wenn man die Natur einfach sein lässt. Oder eben nicht, weil die Gärtnerin und Künstlerin die Erden (sic!) in eine Laborsituation transferierte.

Ihre Intervention trägt den Titel „Keim Erkundung Weikendorf“. „Elisabeth Falkinger macht uns damit bewusst, wie wertvoll der Boden ist, und was alles in der Erde keimt“, sagt Robert Hanel. Der pensionierte Architekt ist engagiertes Jury-Mitglied des Kunstraums Weikendorf der ersten Stunde. Das alte Feuerwehrzeughaus im Ort, das schon ausgedient hatte, wurde 2007 vom Künstler Michael Kienzer für Kunst im öffentlichen Raum zu einem Kunstraum adaptiert. Es sollten darin keine „klassischen“ Ausstellungen stattfinden, sondern bei Tag und Nacht sichtbare, temporäre Installationen, die zum Nachdenken und Diskutieren anregen. Traf der Künstler die ersten Jahre auch die Entscheidung über die ausgestellten Positionen, liegt die Programmierung seit nun bereits zehn Jahren bei einer Jury aus interessierten Menschen im Ort gemeinsam mit der Abteilung des Landes/Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich (KOERNOE). 

Von Langenlois in die USA. Für die 32. Installation fiel die Wahl auf Elisabeth Falkinger, die mit ihrem Alter Ego, einem alten Traktor aus der Ukraine, und  ihrer Verbundenheit zur Natur die Aufmerksamkeit auf sich zog.

Kunstraum Weikendorf. Elisabeth Falkingers „Keim Erkundung“ ist die bereits 34. „Kunst im öffentlichen Raum“-Intervention im ehemaligen Feuerwehrhaus. | © Joanna Pianka

Sie wuchs in Oberösterreich als Älteste von drei Geschwistern auf; ihre Familie betreibt die Stritzlmühle, eine Getreide- und Sägemühle, von der es erste Aufzeichnungen bereits aus dem 15. Jahrhundert gibt. „Wir wuchsen mit viel Musik und der Sensibilisierung für Maschinen und Abläufe auf; heute arbeiten wir alle drei in unterschiedlichen Sparten der Kunst“, beschreibt sie. Elisabeth selbst absolvierte die Gartenbaufachschule in Langenlois, zwei Jahre lang lernte sie anschließend die Arbeit in einer der größten Baumschulen der USA von der Pike auf. Mehr noch: Sie schulte ihren kritischen Blick darauf, wie die Zucht der Bäume und Pflanzen Trends und einem freien Markt unterworfen sind. Wieder zurück in Österreich studierte sie Landschaftsdesign und -kunst an der Uni für angewandte Kunst Wien. Bekannt ist sie heute als Performerin, Musikerin, Zeichnerin, „ich selbst sehe mich vor allem als Gärtnerin“, sagt sie.

Performerin mit Tiefgang. „Gärtnerin“ Elisabeth Falkinger verteilte 34 Scheibtruhen voll Erde im Kunstraum. | © Joanna Pianka

In Weikendorf stellte sie sich die Frage: „Wie kann ich einen Ort kennenlernen und dabei nicht nur an der Oberfläche kratzen?“ Bewusst wollte sie mit dem künstlichen Ideal eines „englischen Rasens“ brechen, auf dem nichts blühen darf, und möglichst verschiedene Böden  umdrehen, „um zu sehen, welche Keime und Potenziale sich unten verstecken“.

Sie präparierte entsprechend den Kunstraum; die Menschen im Ort konnten Erde aus ihrem Garten zur Verfügung stellen, die sie mit der Scheibtruhe abholte und einzeln im Indoor-Garten aufschüttete. Damit es keinesfalls zum Wettbewerb kommt, aus wessen Boden mehr sprießt, hält sie die Parzellierung streng geheim; sie selbst dokumentiert jedes Detail, auch werden täglich Fotos erstellt, und am Ende der Aktion werden die 34 Leihgaben retourniert. Zu keinem Zeitpunkt ist die Installation „fertig“, „es ist ein performativer Akt, der einladen soll, die Entwicklung bis September zu beobachten“, erklärt Elisabeth Falkinger. Eine spannend lehrreiche Anekdote: Ein Leihgeber meinte es besonders gut und mengte seiner Erde Saatgut bei. „Es begann dort sofort zu sprießen, während rundherum noch viel braun war. Doch genau dieses Grün ging bereits im Juni nieder, als alles andere zu treiben begann.“

„Keim Erkundung“: bis 17. September; neue Intervention Robert Gabris/Eröffnung: 30. September, koernoe.at

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