Mit jeder Faser des Lebens
Es gibt kaum einen Moment, in dem Nadja Kayali nicht das Festival „Imago Dei“ im Kopf hat. Alles ist relevant: ihr Frausein, ihre syrischen Wurzeln, ihre Begegnungen mit Menschen aus Krems und mit internationaler Bekanntheit.
© Walter Skokanitsch
Die Anekdote ist zu schön, um sie nicht zu erzählen – und gleichsam ein sonst unsichtbares Puzzleteil, das nicht minder zum Gelingen eines Festivals beiträgt.
Nadja Kayali studierte Musikwissenschaft, ist Ö1-Redakteurin, Regisseurin und seit 2022 künstlerische Leiterin von „Imago Dei“. Und wenn es sich so ergibt, chauffiert sie schon mal „ihre“ Musikerinnen persönlich von Wien nach Krems, wie im Vorjahr das bejubelte Messages Quartet aus Polen. „Mein Auto ist nicht gerade riesig, also saß eine Musikerin neben mir, die drei anderen hatten das Cello hinten auf ihrem Schoß“, lacht sie. „So verbrachten wir eine Stunde Fahrt, redeten viel – und dabei entstand die Idee, diese großartigen Künstlerinnen zum Festivalensemble werden zu lassen.“ Das Messages Quartet kommt heuer sogar gemeinsam mit der gefeierten Pianistin Julia Kociuban.
Wie erlebten Sie Ihren Start?
Nadja Kayali: Das Festival begann 2022 ausgerechnet während eines Corona-Peaks, es gab viel zu organisieren – aber alles konnte stattfinden, und wir hatten richtig viel Publikum. Ich konnte gleich einen meiner Herzens-Meilensteine setzen, einen Schwerpunkt auf weibliche Kreativität: „Imago Deae“ (Abbild der Göttin, Anm.). Wo ich programmiere, möchte ich auch tolle Frauen und ihre Werke ins Rampenlicht bringen. Heuer wird es beispielsweise einen ganzen Kammermusikabend mit Werken von Komponistinnen aus Österreich und Polen geben. Nächstes Jahr fangen wir bewusst am 8. März, am Frauentag, an.
Welche Bedeutung hat er für Sie?
Es geht um die Sichtbarmachung. Ich komme aus der klassischen Musik und sehe, wie viele Werke von Frauen nicht aufgeführt werden, nicht aufgenommen sind. Frauen bekommen noch immer nicht das Prestige, das sie verdienen. Es wird viel darüber diskutiert, dass die Qualität stimmen muss. Aber man muss erst mal in die Lage kommen, um Qualität liefern zu können. Jetzt bin ich in der Situation, dass ich Frauen fördern kann, und tue das auch.
Sophie Reyer trifft auf das Mädchen mit den Schwefelhölzern
Sie haben heuer auch mehrere zeitgenössische Autorinnen eingeladen …
Ich liebe Musik, und ich liebe Literatur – und will auch jeweils Statements mit zeitgenössischer Energie setzen. Die Musik von „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ kennen die wenigsten, das ist ein himmlisches Vokalquartett mit zarter Instrumentierung von David Lang (leichter zu finden als „The Little Match Girl Passion“, Anm.). Ich habe mir gedacht, es wäre schön, es mit einem märchenhaften Text davor zu bringen. Mein erster Gedanke war: Sophie Reyer. Sie hat zum Glück sofort zugesagt. Das wird ein toller Karfreitag-Abend, der auch Spirituelles in sich trägt.
Weitere Auftragswerke habe ich an die Autorinnen Barbara Frischmuth, Anna Kim, Sabine Gruber, Maja Haderlap und Ana Marwan für die Morgenkonzerte vergeben. Sie beginnen heuer um acht Uhr, da spreche ich die Menschen aus Krems direkt an; danach trinken wir einen Kaffee, essen Kuchen und können uns kennenlernen, das beeinflusst auch meine Programmierung.
Jetzt bin ich in der Situation, dass ich Frauen fördern kann, und tue das auch.
Nadja Kayali, Festivalleiterin Imago Dei
Wann berührt Sie Musik?
Nicht, wenn sie die größte Perfektion hat, aber wenn sie durchdrungen wurde; das spürt man. Damit Musik berührt, braucht es auch das optimale Ambiente und die Offenheit des Publikums. Ich rede vor jedem Konzert; damit möchte ich die Menschen aus ihrer Welt rausholen, um in die Welt zu begleiten, die sie erwartet.
Sie sind eng mit dem Theater verbunden, führen auch Regie. Auf welche Produktion blicken Sie gerne zurück?
Zum Beispiel auf die Inszenierung Gottfried von Einems „Der Besuch der alten Dame“ an der Nationaloper Skopje. Wir hatten ein großes Ensemble, allein 90 Leute im Chor, aber keine gemeinsame Sprache (lacht). Trotzdem haben wir zueinandergefunden; ich habe Dinge vorgeführt, Deutsch und Englisch gesprochen, wir haben viel über die Energie kommuniziert. Eine tolle Erfahrung.
Sie haben syrische Wurzeln und machten für den WDR ein autobiografisches Radio-Feature. Wie erlebten Sie das?
Thema war der Einfluss des Orients auf die europäische klassische Musik. Das war 2017, nach der Flüchtlingswelle, die mich schon sehr mitgenommen hat. Ich habe auch die Verantwortung gespürt, dass ich mich beschäftigen und kümmern muss. Seit damals habe ich viele Freundinnen und Freunde aus Syrien, die hier leben und erfolgreich sind.
Im Vorjahr haben wir bei Imago Dei „Syria Alive“ gemacht, ein Konzert mit der Salah Ammo Band und vier damals in Österreich lebenden Schriftstellerinnen und Schriftstellern. Einer von ihnen, der junge Jad Turjman starb leider letztes Jahr in Salzburg. Wir behalten ihn im Herzen und mit einem Konzert und einer Lesung auch im Programm.
Ausgezeichnete Komponist*innen
Sie interviewten kürzlich die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi. Wie prägt Sie eine solche Begegnung?
Shirin Ebadi hat viel gewagt, um Menschen zu helfen. Sie ist eine Ikone, aber die wenigsten wüssten das, hätte sie nicht den Friedensnobelpreis bekommen. Es geht wieder um Sichtbarmachung, das ist unser aller Verantwortung.
All das, was ich tue, auch abseits der Musik, hilft mir bei der Programmierung. Wichtig sind mir Statements. So habe ich aus rechtsphilosophischen Texten und aus den Aussagen des SS-Richters Konrad Morgen aus den Frankfurter Prozessen ein Stück aufbereitet. Die szenische Lesung verknüpfen wir mit Musik von Józef Koffler und zwei Auftragswerken von Peter Ablinger und Nava Hemyari; sie erhielt kürzlich ein Staatsstipendium für Komposition. Und im Mittelpunkt steht die Frage: Kann es Recht in einem Unrechtssystem geben?
Was wünschen Sie sich fürs Festival?
Viele Menschen, die zuhören, zuschauen, mitwirken, sich auch auf Dinge einlassen, die unbekannter sind – und dass wir uns stark in Krems verankern.