Sisi: die private Welt der Ikone

Zahlreiche Bücher und Filme mühen sich an der exzentrischen Figur Elisabeth von Österreich-Ungarn ab, wobei Realität und Wunschdenken weit auseinanderdriften.

8 Min.

Autorin Katrin Unterreiner © Katharina Stögmüller

Katrin Unterreiner ist Autorin zahlreicher Bücher über die Habsburger sowie die Kulturgeschichte der k. u. k. Monarchie. Anlässlich des 125. Todestages von Kaiserin Elisabeth überrascht sie in „Sisi – das geheime Leben der Kaiserin“ anhand bisher noch nie publizierter Quellen mit spannenden neuen Einblicken.

Wer war Sisi wirklich, wie sah ihr Alltag aus, wer waren ihre Vertrauten? Welche Spleens leistete sie sich, oder war die Kaiserin ihrer Zeit in Bezug auf Schönheit, Fitness und Anti-Aging einfach weit voraus? Die Historikerin und Kunsthistorikerin Katrin Unterreiner, auch ehemalige Leiterin des Ausstellungsmanagements der Kunstmeile Krems, gibt spannende Antworten und beschreibt ungeschönt die Parallelwelt der geheimnisvollen Frau an der Seite Kaiser Franz Josephs I.

Neben Ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit im Schloss Schönbrunn kuratierten Sie das 2004 eröffnete Sisi-Museum in den Kaiser­appartements der Wiener Hofburg. Was fasziniert Sie an der Figur Sisi?
Katrin Unterreiner: Kaiserin Elisabeth war eine ambivalente Persönlichkeit mit vielen Ecken und Kanten. Immer wieder ergeben sich durch neue Quellen neue Aspekte und Einblicke – das macht es für mich als Historikerin auch spannend, mich mit dieser Person, die ja eigentlich historisch gesehen keine bedeutende Rolle gespielt hat, sondern erst lang nach ihrem Tod zu einer Ikone stilisiert wurde, auseinanderzusetzen. Ich sehe meinen Beitrag darin, die historische Person hinter dem Mythos darzustellen – ohne Verklärung, Kitsch und von all den Legenden, die sich bis heute hartnäckig halten, befreit. Ich möchte die Möglichkeit bieten, Kaiserin Elisabeth kennenzulernen, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, auch wenn das zumeist nicht den gängigen Vorstellungen entspricht.

PRIVAT. Das Kaiserpaar im Park des Hotels Cap Martin bei Menton, Zeichnung von Wilhelm Gause um 1897, © digitalsisiert/fotografiert von Birgit und Kainz Peter

Nachfahren der Erzherzogin Marie-Valerie, viertes Kind und Lieblingstochter der Kaiserin, haben Ihnen persönliche Quellen aus dem Familienbesitz für dieses Buch zur Verfügung gestellt. Was hat Sie davon besonders überrascht?
Es ermöglicht uns einen bisher völlig unbekannten Blick auf Elisabeth als Großmutter. Bislang wusste man aus den Quellen nur, dass sie ein eher distanziertes Verhältnis zu Kindern hatte – auch zu ihren eigenen Kindern und Enkelkindern. Die älteste Tochter ihrer Lieblingstochter Marie Valerie war aber nicht nur ihr Patenkind, sondern Elisabeth hatte zur kleinen Ella ein für sie ungewöhnlich inniges Verhältnis. So durfte ich erstmals Postkarten und kleine Briefchen, die Sisi an Ella schrieb durchsehen und war überrascht, wie liebevoll diese Nachrichten an ihre Enkelin verfasst sind. So können wir Elisabeth erstmals auch als herzliche „Omama“, wie sie genannt wurde, kennenlernen.

Der Hof arbeitete bereits damals mit „Fake News“, betreffend die Gesundheit Elisabeths, um ihre glamourösen „Kur“-Reisen und späteren Luxusreisen zu rechtfertigen …
Eine Krankheit war damals das einzig mögliche „Exit-Szenario“ für eine Kaiserin. Ihr Leben war fremdbestimmt, eingeteilt und durch das Zeremoniell de facto ohne Gestaltungsfreiraum. So hat Sisi sehr früh erkannt, dass eine Krankheit die einzige Möglichkeit bietet, dem ihr so verhassten Hofleben zu entfliehen. Feststeht, dass sie nie ernsthaft lungenkrank war und auch sonst keine schwere Krankheit hatte. Sie hat sich aber geschickt als leidende Kaiserin inszeniert und sich damit immer wieder Freiräume geschaffen. Erst im Alter kamen echte körperliche Beschwerden durch ihre jahrelange intensive sportliche Betätigung sowie ihren Schlankheitswahn. Es ist aber falsch, dass Elisabeth ihr Leben lang gehungert hätte – sie hätte die Reiterei ja niemals über Jahre auf Hochleistungsniveau betreiben können, wenn sie in der Zeit nicht ganz normal gegessen hätte – das gilt erst für die späten Jahre …

WAGHALSIG. Kaiserin Elisabeth mit ihrer Nichte Marie Wallersee bei einer Reitjagd in Gödöllö, Vinzenz Katzler 1882 © Wien Museum

… als sie mit ihren extremen Diäten begann?
Ja. Elisabeth versuchte nie, einem gängigen Schönheitsideal zu entsprechen. Eine schöne Frau war damals rundlich, füllig – heute würde man sagen: „plus size“. Die Kaiserin galt als mager und in dieser Hinsicht wenig attraktiv. Sie war aber nie magersüchtig oder gar bulimisch. Das können wir aufgrund der Fakten eindeutig feststellen. Dennoch war ihre manische Auseinandersetzung mit Essen im Alter pathologisch und würde heute als Orthorexie benannt werden. Zudem kamen im Alter auch Depressionen, die sie mit dem damals gängigen und in jeder Apotheke frei erhältlichen Medikament behandelte – nämlich mit Kokain.

Allein für ihre Reisen mit ihrem Hofstaat, inklusive Mobiliar, Pferden, Hunden und sogar Milchkühen und Ziegen, gab die Kaiserin im Laufe ihres Lebens 24 Millionen Euro aus. Diese Luxusreisen ließ sie sich jedoch vom Hof bezahlen, obwohl sie selbst über ein sehr großes Vermögen verfügte und ein äußerst glückliches Händchen bewies, ihr Geld in Anlagefonds zu vervielfachen. War das nicht ein Affront für die Steuerzahler?
In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, dass das gesamte private Luxusleben der Kaiserin vom Kaiser aus seiner Privatkasse bezahlt wurde. Franz Joseph erbte ja 1875 das enorme Privatvermögen seines Onkels Ferdinand I. und finanzierte damit das mondäne Leben seiner Gemahlin – inklusive all ihrer Luxusreisen. Abgesehen davon, dass das Privatleben der Kaiserin privat bezahlt wurde, hätte sich auch niemand beschweren können, da ja damals niemand mitbekam, wie die Kaiserin tatsächlich lebte. In den Zeitungen wurde nur berichtet, dass sie, um ihren „angegriffenen Gesundheitszustand“ zu bessern, dort und dorthin zur Kur und Erholung reist. Kein Mensch wusste, wie diese Reisen und mehrmonatigen Aufenthalte im Ausland tatsächlich abliefen und aussahen.

SPIEL AUF DER MACHETA. Die Kaiserin im Kreise ihrer Hofdamen auf Madeira, Fotografie um 1860 © Wien Museum

Elisabeth war eine der besten Reiterinnen ihrer Zeit und absolut kühn bei den Parforcejagden in England, u.a. bei den Spencers in Althorp und Irland. Schwer vorzustellen, dass sie bei einem Taillenumfang von nur 51 cm und einem Gewicht unter 50 kg bei einer Körpergröße von 172 cm über die geeignete Kraft und Lungenkapazität verfügte, diesen Hochleistungssport auszuüben …
Der Reitsport war über viele Jahre Elisabeths wichtigster Lebensinhalt. Sie wollte nicht nur als eine gute, sondern als die beste Reiterin bewundert werden und vor allem erfolgreich sein. Dafür hat sie hart trainiert – eben um konditionell und auch muskulär in der Lage zu sein, mit den Männern mitzuhalten. Denn Parforcereitjagden waren Hochleistungs­sport. Da Frauen ja von Kindheit an Korsett trugen, hatten sie aber rein muskulär meist nicht die Kraft mitzuhalten. Denn man darf nicht vergessen: Damen mussten damals im Damensattel reiten! Das heißt, diese Reitjagden querfeldein über Hecken, Gräben und Mauern waren für Frauen noch schwieriger zu meistern. Genau deswegen ließ sich Elisabeth in all ihren Residenzen Turnzimmer einrichten und absolvierte täglich ihr Trainingsprogramm. Das hat sie wirklich über Jahre hochprofessionell betrieben, war höchst erfolgreich und hat daraus auch viel Selbstbestätigung und Selbstvertrauen gewonnen.

Franz von Clary-Aldringen ist der Kaiserin auf einer Bergtour begegnet und wunderte sich über ihr „uraltes Gesicht voller Runzeln“. War ihr vorzeitiges Altern, trotz sämtlicher Bemühungen, ihre Schönheit zu erhalten, ein Grund für ihren Rückzug aus der Öffentlichkeit?
Es war wohl einer von vielen Gründen. Elisabeth hatte als junge Frau die Macht ihrer Schönheit entdeckt und litt daher unter dem „Verlust“ ihrer Schönheit, der damit zusammenhing, dass sie nicht das klassische Leben einer Aristokratin führte, sondern viel an der frischen Luft – und Sonne – war, was man im Alter auch sah. Man darf aber nicht vergessen, dass sie von jeher eher menschenscheu war und sich nur im Kreis vertrauter und ihr sympathischer Menschen wohlfühlte. Das war natürlich ihrer Rolle als Kaiserin nicht sehr zuträglich und mit ein Grund, warum sie damit nicht zurechtkam.

Ich wollte, meine Seele entflöge zum Himmel durch eine ganz kleine Öffnung des Herzens.

Kaiserin Elisabeth

Bei allem Respekt für die historische Figur der Kaiserin – zeichnet ihre Verschwendungssucht nicht auch ein höchst unsympathisches Bild des damaligen „It-Girls“?
Durchaus. Elisabeth hat sich absurderweise immer als Opfer gesehen – und inszeniert. Dabei gab es wenige Frauen, die so viele Freiheiten hatten wie sie. Dass sie dieses privilegierte – und abgehobene – Leben führen konnte, wäre ohne die Unterstützung ihres Mannes Kaiser Franz Joseph gar nicht möglich gewesen. Sie hatte eigentlich alles: die gesellschaftliche Stellung und trotzdem die Möglichkeit, ein Leben rein nach ihren Vorstellungen zu führen. Dass es ihr trotzdem nicht gelungen ist, ein erfüllendes Leben zu führen, lag ausschließlich an ihr – das ist die wahre Tragödie ihres Lebens. Elisabeth war auch alles andere als eine Feministin. Ihr selbstbestimmtes Leben war ihr kein generelles Anliegen, daher kann sie nicht als „role model“ angesehen werden. Im Gegenteil. Diese Freiheit sollte nur für sie allein gelten. Sie unterstützte nicht einmal ihre Schwestern in deren Versuchen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen – andere Frauen ihrer Zeit schon gar nicht. Sie war in dieser Frage extrem konservativ.

Von der kaiserlichen Familie gibt es nur ein einziges Bild, was einiges über Sisi als Mutter verrät. Ihren Enkelkindern wurde sie aber dann noch eine liebevolle „Omama“. Eine späte Versöhnung oder Wiedergutmachung?
Absolut. Es war für mich wirklich „versöhnlich“ zu sehen, dass Kaiserin Elisabeth, die ihr Leben lang immer nur ihre Interessen als Maß aller Dinge sah und auch zu ihren Enkelkindern ein eher distanziertes Verhältnis hatte, gleichzeitig auch eine liebevolle und herzliche „Omama“ war. Genau diese Ambivalenz ist es, denke ich, auch, die sie heute noch spannend macht. Es gibt immer etwas Neues – und Überraschendes – zu entdecken.

Infos zur Autorin finden Sie auf www.katrinunterreiner.at.

Erschienen im Carl Ueberreuter Verlag, € 25

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