
„Du bist gut, so wie du bist“: Therapeutin & Psychologin Lisa Hahn im Talk
Die Psychologin über "Mentale Stärkung von Mädchen"
© Privat
Am 15. Oktober hält die Zwettler Psychotherapeutin, Klinische- und Gesundheitspsychologin Lisa Hahn auf Einladung des Vereins der Waldviertler Frauenwirtschaft FRAU iDA ein Seminar zum Thema „Mentale Stärkung von Mädchen“. Ein Ausblick vorab.
Lisa Hahn zum Thema „Mentale Stärkung von Mädchen“
Frau Magistra Hahn, warum ist dieses Thema so relevant?
Die Ergebnisse der WHO-HBSC-Studie 2021/22, in der die Gesundheit und das Gesundheitsverhalten von 7099 österreichischen Schülerinnen und Schülern im Alter von elf bis 17 Jahren untersucht wurde, zeigen klar, dass sich die psychische Gesundheit von Jugendlichen durch die Corona-Pandemie verschlechtert hat. Dabei sind Mädchen stärker belastet als Burschen. Sie leiden stärker an psychischen Beschwerden, wie etwa Gereiztheit, schlechte Laune, Schwierigkeiten beim Einschlafen, Nervosität, Zukunftssorgen und Niedergeschlagenheit. Gründe für die höhere psychische Belastung bei Mädchen könnten an einem höheren Druck liegen, an gesellschaftlichen Leistungsnormen, wie besonders gewissenhaft, strebsam und angepasst zu sein, als auch an traditionellen Rollenbildern, wie funktionierende soziale Beziehungen zu führen oder mit dem eigenen Aussehen entsprechen zu wollen.
Wie merkt man als Eltern eine psychische Belastung bei betroffenen Jugendlichen?
Anzeichen einer psychischen Verschlechterung können ein vermehrter sozialer Rückzug, ein Interessensverlust aller bisheriger Freizeitaktivitäten oder eine häufig niedergeschlagene Stimmung sein. Auch psychosomatische Beschwerden, wie Magen-Darm-Probleme, Müdigkeit und Erschöpfung, zunehmende Antriebslosigkeit, Schwierigkeiten, morgens aufzustehen oder überhaupt in die Schule zu gehen, stellen Warnsignale dar. Wichtig als Eltern ist es, hinzusehen, in einen feinfühligen Kontakt mit dem eigenen Kind zu gehen und bei längerem Andauern von mehr als zwei Wochen psychologische oder psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, oder zumindest den Hausarzt oder die Hausärztin aufzusuchen.
Wie können Mädchen in ihrer psychischen Gesundheit gestärkt werden?
Diese Stärkung muss an der Wurzel vieler psychischer Probleme ansetzen, nämlich an der Stärkung ihres Selbstwerts. Unter „Selbstwert“ versteht man den Wert, den wir uns selbst als Menschen zuschreiben. Er umfasst die positive oder negative Bewertung dessen, wie wir sind, was wir können oder tun. Für die Selbstwertentwicklung ist die Qualität der frühen Bindungserfahrungen mit den relevantesten Bezugspersonen ausschlaggebend. Verhalten sich Eltern zugewandt, liebevoll und reagieren feinfühlig auf die kindlichen Bedürfnisse, so spiegeln sie dem Kind wider: „Du bist gut, so wie du bist“. Erfahren Kinder hingegen häufig Kritik, Abwertung oder sind sogar Missbrauch ausgesetzt, so integrieren sie diese negativen Erfahrungen ins eigene Selbstbild. Ein negatives Selbstwertgefühl ist die Folge vieler möglicher Konsequenzen im Erwachsenenalter, wie z.B. der mangelnden Fähigkeit für sich einzustehen und Grenzen zu ziehen, berufliche oder soziale Anforderungen zu vermeiden oder die alleinige Kompensation über das Leistungsprinzip mit der häufigen Folge von Erschöpfung und Burnout.
Familiäre und soziale Bindungen stärken das Selbstwertgefühl von Mädchen.
Lisa Hahn
Geht es auch um die Stärkung von Bindungen?
Ja, denn sie sind eine wichtige Quelle in der Selbstwertarbeit. Dies betrifft sowohl innerfamiliäre Beziehungen, als auch Beziehungen zu Gleichaltrigen. Das Erleben von Integration und sozialer Akzeptanz in der Gruppe ist für Jugendliche von immenser Bedeutung für die Selbstwertentwicklung. Durch das Ausüben von Hobbys innerhalb einer Gruppe werden zum Beispiel das Selbstwirksamkeitsgefühl und Selbstvertrauen von Jugendlichen gestärkt. Sie erfahren sich als kompetent, erleben Erfolg, lernen aber ebenso, mit Konflikten und Misserfolgen umzugehen – eine ideale Lebensschule, die von Eltern gefördert werden sollte. Auch sollten von Eltern und Lehrpersonen gesellschaftlich-weibliche Rollenzuschreibungen und damit verknüpfte Erwartungen diskutiert werden. Wie Mädchen auszusehen und sich zu verhalten haben, ist vielerorts immer noch stark patriarchal geprägt und führt schon früh zu einem enormen Druck, all diesen Rollen und Anforderungen gerecht werden zu müssen. Die Ausbildung von Perfektionismus und Essstörungen sind in diesem Zusammenhang ein zunehmendes Phänomen, das ich in meiner Praxis unter jugendlichen Mädchen beobachte.
Wie sehr beeinflussen soziale Medien das Körperbild von Mädchen?
Maßgeblich, in dem meist die Wichtigkeit des äußeren Erscheinungsbildes der Influencerinnen – durch Werbung zu Mode und Kosmetik – in den Fokus gerückt wird. Vor allem bei Mädchen mit niedrigem Selbstwert findet ein unmittelbarer Vergleich mit dem eigenen Körper statt. Auf Social-Media-Plattformen kursieren fast ausschließlich optimierte und inszenierte Bilder, die eine verzerrte Realität darstellen und somit unrealistische Körperideale festigen. Der Einfluss von sozialen Medien auf die Körperzufriedenheit sollte mit Jugendlichen unbedingt besprochen werden. Dabei ist es wichtig, eine interessierte Haltung anstelle einer verurteilenden einzunehmen, wie etwa „Welchen Profilen folgst du? Welche Gedanken und Gefühle löst das bei dir aus?“
Auch der in Mode gekommene Begriff der „Body Positivity“- Bewegung („Alle Körper sind schön“) sollte gemeinsam mit Mädchen kritisch hinterfragt und durch den Ansatz der „Body Neutrality“ ersetzt werden. Es bedeutet, den eigenen Körper als funktionales Instrument zu sehen, der einen durchs Leben trägt und der sich gut anfühlt – weg vom Anspruch des ewigen „Schön-Sein-Müssens“.
Zum Thema Mobbing. Wie kann man präventiv helfen, bzw. die Resilienz der Opfer stärken?
Aus der Forschung weiß man mittlerweile, dass es keine besonderen Persönlichkeitseigenschaften auf Seiten der Opfer gibt, die Mobbing befördern. Deswegen ist es mir wichtig zu betonen, dass die Opfer niemals selbst schuld an Anfeindungen gegen sie sind, das wäre eine Täter-Opfer-Umkehr. Meist ist es eine wahrgenommene Andersartigkeit in irgendeinem Aspekt einer Person, die von einem Täter aufgegriffen wird. Damit Mobbing aber überhaupt stattfinden kann, braucht es ein ganzes System, in dem vor allem die Mitläufer hervorzuheben sind, die zusehen und sich nicht gegen den Täter stellen – was Mobbing schon zu Beginn im Keim ersticken würde.
Beim Thema Mobbing-Prävention wäre es wichtig, Jugendlichen zu vermitteln, dass sie mit jedem Problem zu den Eltern kommen können, ohne dafür verurteilt zu werden. Diese sollten Jugendliche unbedingt ernst nehmen und nicht vorschnell mit einem „Hör einfach nicht hin“ abtun. Bei schwerwiegenden Mobbingfällen ist die Schule zu kontaktierten, dann braucht es eine Lösung auf systemischer Ebene, wie einen Mobbingworkshop mit der gesamten Klasse bis hin zu einem Klassen- oder Schulwechsel.
Weitere Infos zu Lisa Hahn auf www.lisa-hahn.at.
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