Wer kann Mama?
Pünktlich zum Muttertag erscheint das Buch „Mythos Mutterinstinkt“ der Co-Autorinnen Annika Rösler und Evelyn Höllrigl Tschaikner. Darin nehmen sie, gestützt von neuesten Erkenntnissen aus der modernen Hirnforschung, das Mutterideal ins Visier und zeichnen ein neues, vollständigeres Bild von Familie.
SCHLUSS MIT SUPER-HELDINNEN Nach ihrem ersten gemeinsamen Buch „Nachwehen“ wollen die Autorinnen nun das Muttersein von alten Rollenbildern befreien. © Saskia Brecht
„Mütter meinen, instinktiv wissen zu müssen, wie Muttersein geht. Meist dauert es jedoch nur wenige Tage mit dem Baby, bis diese Annahme in ihren Grundfesten erschüttert wird. Die Bedürfnisse eines Kindes zu erkennen, angemessen darauf zu reagieren, das Leben vor der Geburt mit dem danach in Einklang zu bringen – all das gelingt eben nicht auf Knopfdruck. Dahinter steht eine schrittweise neurologische Anpassungsleistung, auch Matreszenz oder Muttertät genannt: „Kinderhaben verändert buchstäblich das Hirn“, heißt es in der Beschreibung des Buches, welches den Fokus auf die Erlernbarkeit von Mutter- bzw. Elternschaft legt. Ein spannender Ansatz, der uns neugierig macht. Also fragen wir nach …
Sie beide sind Journalistinnen, Autorinnen und zudem jeweils Mütter von drei Kindern, also das, was gemeinhin gerne als „Heldinnen des Alltags“ bezeichnet wird. Dennoch plädieren Sie für eine Gesellschaft, die Müttern den Superheldinnen-Umhang auszieht?
Annika Rösler und Evelyn Höllriegl Tschaikner: Na ja, die Bezeichnung „Heldin des Alltags“ ist sicher nett gemeint, dennoch geht sie mit einer gewissen Problematik einher. Denn, was ist, wenn sich der Alltag für Frauen beziehungsweise Mütter nicht so leicht und schwungvoll anfühlt? Das Problem mit dem Bild dieser alleskönnenden Superhelden-Mama ist ein schleichendes. Mit all den Idealvorstellungen werden Erwartungen mitgetragen, die sich ganz schön schwer anfühlen können. Fast schon so, als würde der gut gemeinte Superheldinnen-Umhang nicht beflügeln, sondern eher die Luft abschnüren. Immer dann, wenn wir als Gesellschaft Mütter idealisieren, ist darin auch schon das Scheitern und die Schuld mit inbegriffen: Gut oder schlecht. Helikopter-Mama oder Rabenmutter. Unschuldig oder schuldig. Erfüllend oder traumatisierend. Superheldin oder eben Komplettversagerin. Wenn wir Müttern den Superheldinnen-Umhang wieder ausziehen, dann sehen wir sie als das, was sie wirklich sind: Menschen, die eben nicht alles nur wegen ihres Geschlechts können und die es zu unterstützen gilt.
Dennoch: Der „Mutterinstinkt“ wird verbunden mit inniger Liebe, bedingungsloser Fürsorge bis zur Selbstaufgabe und dem Wissen, dass niemand so sehr die Bedürfnisse des eigenen Kindes erspürt wie eben die Mutter. Sie sagen jedoch, das sei ein Märchen …
Das Bild der heutigen Mutter ist historisch gewachsen und fest im Patriarchat verankert. Die Idee des Mutterinstinktes war dabei eine sehr pragmatische. Als sich im Zuge der Industrialisierung die Lebensbereiche der Familie in produktive Arbeit außerhalb des Hauses und reproduktive Arbeit im Haus teilte, wurde nach Begründungen gesucht, wieso die Familienarbeit nun der Frau zugeordnet wurde. Dafür hielt zum einen das christliche Ideal der Mutter Maria und zum anderen hielten die Ideen, die von der Aufklärung nachhallten, her: das „naturgegebene“ Mutterbild. So wurde der Mutterinstinkt erfunden. Wir wollen mit unserem Buch niemanden innige Gefühle absprechen, denn wir sind uns einig, dass es eine elterliche Intuition gibt. Diese ist aber nicht nur leiblichen Müttern vorbehalten und schon gar nicht instinktiv. Das würde im Umkehrschluss ja heißen, dass Adoptiv- oder Regenbogeneltern ihre Kinder niemals so lieben, pflegen und hegen könnten wie leibliche Eltern – und wir wissen ja alle, dass das nicht stimmen kann.
Mit Ihrem Buch wollen Sie das „Muttersein“ aus dem wissenschaftlichen toten Winkel holen und verweisen dazu auf die Entwicklung des elterlichen Gehirnes. Was meinen Sie damit?
Mütterforschung – und generell Elternforschung – war lange nicht im Zentrum eines wissenschaftlichen Diskurses. So wurden die ersten Aufzeichnungen von mütterlichen Gehirnen erst am Anfang unseres Jahrhunderts aufgenommen. Davor waren das Interesse und auch die Gelder nicht da, um sich das Gehirn von schwangeren Frauen anzuschauen. Paradox eigentlich, wenn wir daran denken, dass jede und jeder eine Mutter hat. In den letzten zwei Jahrzehnten gab es aber sehr interessante Studien zum elterlichen Gehirn und seiner Formbarkeit, die auch Väter und homosexuelle Paare miteinbezogen. Die gewonnenen Erkenntnisse eröffnen ganz neue Möglichkeiten für Eltern und auch für Kinder. Im Zuge unserer Recherche konnten wir mit den tollen Neurologinnen sprechen, die wichtige Studien geleitet haben. Unter anderem Dr. Elseline Hoekzema und Dr. Jodi Pawluski, tolle und engagierte Frauen, mit bahnbrechenden Forschungsergebnissen.
Wenn Kinderhaben das Hirn verändert – gilt das nur für die leibliche Mutterschaft?
Nein, das tut es nicht. Und genau das ist der Schlüssel zu einer neuen Elternschaft, meinen wir. Neuronale Veränderungen passieren bei Frauen bereits während der Schwangerschaft, aber – und das ist das Spannende – diese werden durchaus auch bei Vätern festgestellt, nur zeitversetzt.
Wie hat sich die Mutterrolle im Laufe der letzten Generationen verändert?
Das Mutterbild hat sich immer schon mit den Idealvorstellungen der jeweiligen Zeit verzahnt und drehte sich mit. Wichtig ist aber, zu verstehen, dass es seit jeher ein soziales Konstrukt war und immer noch ist. Je nach kulturellen und sozioökonomischen Notwendigkeiten kann beobachtet werden, dass es sich immer wieder geändert hat und sich ändert. Im Nationalsozialismus zum Beispiel gab es das Mutterkreuz für das Gebären vieler Kinder verbunden mit einer autoritären Erziehung, damit der Nachwuchs auch anpassungsfähig ist. In der heutigen Zeit vereinen die Anforderungen an das Mutterbild auf moderne Weise traditionelle Vorstellungen der „guten Mutter“ mit emanzipatorischen Vereinbarkeitsanforderungen von Beruf und Mutterschaft. Egal, ob sich Frauen kritisch-selbstreflektiert mit den gesellschaftlichen Erwartungen an die Mutterschaft auseinandersetzen oder nicht, wenn man stetig mit diesem Bild der ‚allesschaffenden‘ Mutter konfrontiert wird, zum Beispiel auf Instagram, misst man sich daran. Das vollzieht sich unbewusst und verstärkt die Haltung, dass es zwar anstrengend ist, nach dem Ideal zu streben, aber machbar. Die Frage, die sich dann aber stellt ist: zu welchem Preis?
Für eine neue Definition von Muttersein in der Gesellschaft auf der Basis aktueller Forschung legen Sie den Fokus auf Erlernbarkeit. Kurz, kann jede Frau „Mama“?
Nein, nicht jede Frau kann Mama, weil: jede Person kann Eltern. Dieses Wissen ist eine enorme Entlastung. Nicht nur für Mütter, auch für Väter und für alle Regenbogen-, Bonus- und Adoptiveltern. Alle können sich um Kinder kümmern. Die einzige Voraussetzung ist, sie müssen es wollen.
Wie also sollen wir Elternschaft neu denken, befreit von jeglichem Idealbild?
Wenn wir in dem Wissen leben, dass es keine, allein dem weiblichen Geschlecht zugewiesene Fähigkeit gibt, besonders gut für ein Kind zu sorgen, so nimmt dies eine gewaltige Last von den Schultern der Mütter. Es zeigt, dass Elternschaft in Learning by Doing besteht, und verteilt die Verantwortung für die gesunde Entwicklung des Kindes auf mehrere Personen. Der Verzicht auf die Idee vom Mutterinstinkt spricht der Frau keine Kompetenz ab, sondern attestiert anderen Menschen vielmehr die Fähigkeit, eine genauso liebevolle und umsorgende primäre Bezugsperson für ein Kind werden zu können. Es befreit die Mütter von ihrem vermeintlichen Superheldinnenstatus und schenkt anderen Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, von biologischer oder nichtbiologischer Elternschaft die wissenschaftlich bestätigte Berechtigung, dass sie – genauso wie Mütter – in Bezug auf Elternschaft alles lernen können. Das mag auf den ersten Blick vielleicht weniger romantisch klingen als die bedingungslose, instinktive mütterliche Liebe, aber dafür ehrlicher.
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