Noble Zurückhaltung
Luxus ist plötzlich nicht mehr laut, sondern leise. Was steckt hinter dem Quiet-Luxury-Trend?
© Unsplash/Chyntia Juls
Können Sie sich noch daran erinnern, als Sie Ihr erstes etwas kostspieligeres Kleidungsstück gekauft haben? Ein Stück, um das Sie schon länger herumgeschlichen sind, auf das Sie vielleicht sogar extra gespart haben – bis Sie es endlich in Ihren Händen hielten, mit den Fingern ehrfürchtig über das Material strichen und bereits gedanklich all die Gelegenheiten durchspielten, an denen Sie Ihre neue Errungenschaft ausführen würden. Ganz gleich, um welche Marke es sich handelte oder was auf dem Preisschild stand: Es war nicht irgendein Label, das Ihnen dieses Gefühl gab. Es war die Tatsache, dass Sie sich selbst etwas Besonderes gegönnt haben. Ein bisschen Luxus eben.
Was ist Luxus?
Per Definition ist Luxus „ein kostspieliger, verschwenderischer und den üblichen Rahmen der Lebenshaltung stark übersteigender, nur dem Genuss und Vergnügen dienender Aufwand“. Yachten, Privatjets, teure Autos, Champagnerpartys: Luxus wird gemeinhin mit einem opulenten Lebensstil gleichgesetzt. Doch im Lauf der Zeit und unter Einfluss verschiedener soziokultureller Entwicklungen wurde diese Auffassung um neue Werte, wie Nachhaltigkeit und Verantwortungsbewusstsein, ergänzt. Statt kurzlebiger Trends, plakativer Logos und einer damit einhergehenden Show-off-Mentalität stehen nun zeitlose Klassiker im Zentrum der „Quiet Luxury“-Bewegung, die wie kaum eine andere die aktuelle Ästhetik prägt (und damit dem exzentrischen Y2K-Trend ein stilles, aber nachdrückliches Ende setzt).
Die neue Bescheidenheit.
Luxusgüter zu erwerben, um anderen zu zeigen, was man sich leisten kann – dieses Motiv ist nicht mehr salonfähig. Vielmehr lautet der Anspruch, dass sich der Konsument mit dem neuen Designerstück selbst (und bestenfalls auch der Umwelt) etwas Gutes tut, etwa durch den Genuss sensorischer Freude oder ästhetischer Schönheit. Hedonismus statt Statussymbolik, echte Leidenschaft statt blindem Labelwahn. Ist unsere Gesellschaft tatsächlich schon so weit? Immerhin: Reflektierte Kaufentscheidungen zu treffen und die erwählten Stücke möglichst oft und lange zu tragen, ist nicht nur nachhaltig, sondern schont auch das Geldbörserl – gerade in Zeiten der anhaltenden Inflation ein durchaus überzeugendes Argument.
#oldmoney.
Auch die Unterhaltungsindustrie ist inzwischen auf den Geschmack von Quiet Luxury gekommen; in der letzten Staffel der gefeierten HBO-Serie „Succession“ etwa mokieren sich Brunello-Cucinelli-tragende
Milliardäre über eine Tasche mit prominentem Burberry-Karo. Der Kleidungsstil der betuchten Protagonisten repräsentiert „Old Money“, also altes Vermögen – und das wird nicht zur Schau gestellt, sondern ist nur für das geschulte Auge aus eingeweihten Kreisen erkennbar. Steve Jobs‘ Rollkragenpullover von Issey Miyake fällt zum Beispiel in diese Kategorie, Gwyneth Paltrows berühmte Gerichtssaal-Garderobe – darunter etwa ein schlichtes Kaschmir-Polo-Shirt von Prada – ebenso. Nur die Träger weiß um die besondere Qualität und Charakteristik des Kleidungsstücks; für Außenstehende ist das Label, wenn überhaupt, erst auf den zweiten Blick ersichtlich.
Fake it till you make it?
Die Burberry-Karo-Tasche hingegen schreit „Schaut, wie viel ich ausgegeben habe!“ und entlarvt seine Besitzerin damit unmissverständlich als Opfer der kapitalistischen Prestige-Diktatur. Nicht ohne Grund sind es gerade ebendiese Taschen mit einem hohen Wiedererkennungswert, die am häufigsten gefälscht werden. Der Handel mit Designer-Dupes ist ein Milliardengeschäft, jede dritte Deutsche hat schon einmal bei Luxusplagiaten zugegriffen. Um Carrie Bradshaws Erkenntnis zu diesem vieldiskutierten Thema heranzuziehen: „Selbst, wenn alle anderen sie für echt hielten – ich würde immer wissen, dass meine Fendi eine Fälschung ist.“ Und soll Mode nicht zuallererst einem selbst Freude bereiten? Ist deren Anschaffung wirklich vertretbar, wenn ihr alleiniger Sinn darin besteht, andere zu täuschen?
Eine Frage der Haltung.
Quiet Luxury ist hierzu ein erfrischender Gegenpol. Denn obwohl die Outfits ästhetische Gemeinsamkeiten aufweisen, geht es dabei weniger um bestimmte Stilelemente als um eine gewisse Stimmung und vor allem Haltung zur Mode. Diese ist einerseits von funktionalen Aspekten und einer makellosen Verarbeitung geprägt, andererseits von der Treue und Verbundenheit gegenüber bestimmten Herstellern. Denn je besser man die Eigenheiten einer Marke kennt, desto einfacher und effizienter wird auch der Kleidungskauf – und desto stimmiger der eigene Stil.
Passend gemacht.
Ziel ist es, Kleidungsstücke auszuwählen, die den Bedürfnissen, Gewohnheiten und Bewegungen ihrer Träger möglichst nahekommen. Wer beruflich viel zu Fuß unterwegs ist, wird mit einem Paar hochwertigen, schicken Loafers glücklicher sein als mit eleganten, aber denkbar unpraktischen Pumps. Apropos Tragekomfort: Kleidung, die wie angegossen sitzt, trägt sich nicht nur feiner, sondern sieht auch automatisch hochwertiger aus. Die Lieblingsstücke in der Schneiderei Ihres Vertrauens individuell anpassen zu lassen, ist also in jedem Fall eine gute Investition. Und wer weiß: Vielleicht lässt sich das eine oder andere Teil aus Omis Kleiderschrank zu neuem Leben erwecken?