Lang lebe das Papier!
Lesen Sie Magazine? Haben Sie einen Kalender oder ein Notizbuch? Schreiben Sie noch mit der Hand? Wenn ja, dann gehören Sie nicht zu den Ewiggestrigen, sondern pflegen damit eine Kulturtechnik, die ein einzigartiges Statement Ihrer Persönlichkeit auf die veredelte Fläche unseres wichtigsten Mediums abgibt – das Papier. Diesem Material hat sich über 100 Jahre ein ganz besonderes Unternehmen aus Spillern gewidmet: Die Kalendermacher. Eine Erfolgsgeschichte.
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In unserer schnellen Zeit des digitalen Overloads mit einer enormen Flut an Informationen und eilig angeklickten Emojis als Ersatz für das handgeschriebene Wort punktet seit rund 2.000 Jahren das Papier. Oftmals von Digitalisierungsfreaks totgesagt, wird jedoch die Bedeutung des ältesten Kommunikationsmediums, abgesehen von den Höhlenmalereien, eher größer – aktiviert es doch mit seiner Haptik unsere Sinne und schenkt uns eine analoge Auszeit. Wenn wir schreiben, verarbeiten wir konzentriert unsere Gedankengänge, schulen unsere Feinmotorik und Erinnerungsleistung. Sehen, riechen, fühlen – versus Mouse und Touchscreen? Nein, beides werden wir im Alltag brauchen, beides schließt einander nicht aus.
Die Kraft des Papiers. Für das Editorial des Jubiläumsmagazins AUSZEIT befragten Julie Steinschaden und Balázs Schallenberg ChatGPT, was die künstliche Intelligenz über das 100 Jahre alte Unternehmen zu sagen weiß. Die Antwort: „Als ich das Gebäude betrat, hatte ich das Gefühl, in eine andere Zeit zu reisen. Alles war mit dem Charme vergangener Jahrzehnte eingerichtet: alte Prägemaschinen, eine Wand in die Jahre gekommener Kalender und ein Schrank gefüllt mit alten Mustern …“ Und dann kommt der CEO der Firma zu Wort, der „am Ende des Tages immer noch etwas Magisches an einem Kalender aus Papier findet, an die Kraft des Papiers glaubt, sich vorstellt, wie die Mitarbeiter hektisch durch die Gänge laufen, um sicherzustellen, dass jedes Kalenderblatt perfekt gedruckt und kein Tippfehler übersehen wird …“
Das Medium der Herzen. Die Erfolgsgeschichte begann 1923, als die Ururgroßmutter Louise Pitzinger mit ihrer Großbuchbinderei in der Bandgasse im 7. Wiener Gemeindebezirk den Grundstein für die Kalenderfertigung legte. Drei Generationen blieb man dort, bis der 19-jährige Gerhard wie ein Wirbelwind das Unternehmen aufmischte und den Firmensitz 1988 an einen größeren Standort in Purkersdorf verlegte und sich für den neuen Firmennamen „Der Kalendermacher“ entschied. Im Laufe der Jahre vereinte man in einem Siegeszug zwölf Unternehmen, darunter den damaligen Marktführer Schretzmayer, unter einem Dach – die Kalenderfamilie wurde damit besiegelt und heißt seitdem „Die Kalendermacher“.
Hipp und ahnungslos – begeisterungsfähig und innovativ: die Nachkömmlinge. Als dann nach Jahren von der fünften Generation noch jede Spur fehlte, war es Balázs Schallenberg, der Schauspieler, der als Erster den bösen Zauber durchbrach. Mit viel Energie, Ehrgeiz, jedoch wenig Ahnung von Kalendern, legte er mit seinem Vater Christian den Grundstein für die innovative Notizbuchlinie „DenkZettel“. Und er machte das Unmögliche möglich: Er überzeugte drei weitere Familienmitglieder, alle in den hippen und digitalen Werbebranchen von Wien, Paris und Montréal anzutreffen, dem bodenständigen Unternehmen beizutreten. Mit Feuer an der Sache und einer Mannschaft, die täglich die Maschinen ölt und Arbeitsschritt für Arbeitsschritt am Laufen hält, verlassen jährlich zehn Millionen persönliche Kalender und Notizbücher das Unternehmen. „In einem Familienbetrieb ist nicht Blut ausschlaggebend, sondern der Fleiß, das Feuer für die Sache“, sind sie sich einig, die vierte wie auch die fünfte Generation. Wir fragen mal nach, bei den Generationen …
Die 5. Generation
Julie, Ihre Ururgroßmutter hat vor 100 Jahren die Firma gegründet, eher ungewöhnlich, wenn man die damalige Rolle der Frau bedenkt. Welche Eigenschaften haben wohl Louise Pitzinger ausgezeichnet?
Sie muss eine sehr mutige und zielstrebige Frau gewesen sein. Die Firma hieß damals zwar noch „L. Pitzinger“, aber sie war sicher eine (Kalender)-Macherin. Und sie war nicht nur Vorreiterin als – weibliche – Inhaberin im Geschäftsleben, sondern auch als Mutter, weil sie meine Urgroßmutter Anfang des 20. Jahrhunderts adoptiert hatte.
In Paris waren Sie 15 Jahre in der Digitalbranche erfolgreich. Was hat Sie und die anderen Mitglieder der „Next Generation“ überzeugt, ins Familienunternehmen zurückzukehren?
Definitiv der Vorteil, seine eigene Chefin, sein eigener Chef sein zu können. Etwas zu bewegen, ist in einem Familienunternehmen leichter als in einem großen Konzern, weil mitunter auch die Entscheidungswege kürzer sind. Hier im Unternehmen genießen wir die Freiheit, gemeinsam kreativ und innovativ sein zu dürfen. Auch wollen wir nachhaltiger sein und verwirklichen dazu gerade ein Projekt mit der Boku. Damit wir in der Personalisierung schneller und flexibler werden, haben wir einen Produkt-Konfigurator designt und in einen Laser investiert, der uns Dank seiner Technologie neue Türen der Individualisierung öffnet, und vieles mehr. Natürlich steht auch bei uns die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund, aber man hat im wahrsten Sinne des Wortes einen Spielraum um zu testen und sich weiter zu entwickeln.
Das Analoge erlebt in vielen Bereichen gerade ein Revival, Digital-Detox, Slow-Food, Slow-Fashion und vor allem der nachhaltige Umgang mit Ressourcen sind wichtig. Was kann der Kalender zu diesen analogen Inseln beitragen?
Ich bin der Überzeugung, dass analoge Objekte – wie eben auch Kalender – eine Art von Sicherheit und Wohlbefinden geben. Und es ist so schön simpel! Ich habe einen Termin, nehme den Kalender, der immer am gewohnten Platz steht, und schreibe den Termin hinein. Dabei habe aber ich die Kontrolle, wann ich auf oder in den Kalender schauen möchte – und nicht er über mich. Das wiederholte Piepsen und Klingeln oder das Aufpoppen eines Fensters am digitalen Kalender wird ja meistens eher zum Stressauslöser. Also nicht, dass ein digitaler Kalender schlecht wäre, aber nicht jeder möchte rund um die Uhr abhängig von seinem Handy oder vom Computer sein.
Lesen Sie Magazine im Print oder online?
Ich lese Zeitungen online, aber Magazine im Print. Ein Magazin will man ja auch lesen, wenn man Zeit hat – da setzt man sich schon gerne auf die Couch oder die Terrasse, mit Café und einer guten Portion Ruhe, die der digitale Alltag nicht hergibt.
Die 4. Generation
Herr Steinschaden, was fasziniert Sie an der „Magie des Papiers“?
Seine Haltbarkeit, die Artenvielfalt und Recyclingfähigkeit, wie überhaupt die diversen Stärken und Bedruckungsverfahren, sowie die verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten.
In der Führungsriege der Kalendermacher prallen nach eigenen Aussagen „die Welten zweier Generationen aufeinander“. Was braucht es da, damit es funktioniert?
Vor allem Leidenschaft und Kreativität gepaart mit Erfindergeist, kaufmännisches Denken, das Wissen um das Produkt – und extrem wichtig: arbeiten lassen!
Als Sie, Jahrgang 1956, zur Schule gingen, gab es noch das Fach „Schönschreiben“, bevor es aus den Unterrichtsfächern verbannt wurde. Heute übt sich die Jungend unter dem modernen Begriff „Handlettering“ wieder der Kunstschrift – nach Büchern oder Vorlagen im Internet. Es kommt wohl wieder, dieses bewusste Schreiben?
Dies wäre wohl sehr wünschenswert! Denn jedes geschriebene Wort bleibt ungleich mehr im Gedächtnis verankert.
Die Preise für Papier in unserer Branche sind exorbitant gestiegen. Wandern dadurch Kunden vermehrt zum digitalen Kalender ab?
Die Tischkalender betrifft es sehr peripher, und die Notizbücher sind ohnedies absolut „in“. Egal in welchen Größen, sie erfreuen sich immer mehr ihrer Beliebtheit. Nur die Bild- und Taschenkalender sind seit längerer Zeit rückläufig.
Was wünschen Sie der fünften Generation?
Neben jeglicher Professionalität, starkem Umweltbewusstsein und Teamgeist: Glück und Gesundheit!
Von uns Magazinmachern zu euch Kalendermachern: Wie wird wohl unsere Zukunft aussehen?
Sollte es uns gelingen, allgemeines Interesse an unserem Tun zu wecken, dann sage ich: sehr gut! „Willhaben-Produkte“ zu entwickeln wird dazu der Key-Point sein …
Welche Widmung würden Sie uns in den Kalender schreiben?
Gerhard Steinschaden: Freiheit geht über alles.
Julie Steinschaden: „Wer händisch schreibt, hat länger Akku.“
Nachhaltige Materialien wie Apfel-Leder, recycelte Alt-Wolle, Lavendelreste u.v.m. gehören zur DNA des Unternehmens.
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