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Albanien ist ein Land voller unerwarteter Schönheit und unglaublicher Abenteuer. Der Segelprofi Wolfgang Siebenhandl nimmt uns mit auf eine Reise und zeigt, dass das kleine Land im Herzen des Balkans so viel mehr zu bieten hat, als man sich vorstellen kann.
Trotz schönsten Wetters fährt heute niemand von Kerkyra nach Osten an die albanische Küste. Ich bin allein und freue mich, unentdeckte Gestade zu erreichen. Natürlich ist mir bewusst, dass „unentdeckt“ nicht stimmt: Erst Anfang der 1990er hat sich Albanien vom Steinzeitkommunismus abgewendet. Bis dahin wurden hunderttausende Bunker über das Land verstreut, alle Strände mit Minen und Stacheldraht gesichert. Also gebe ich mich damit zufrieden, eine vergessene Küste wiederzuentdecken.
Albanien ist ein armes Land. Albanien ist unsicher. Albanien hat keine moderne Infrastruktur. Vorurteile gegenüber dem südosteuropäischen Land gibt es zuhauf. Zu Unrecht. Albanien ist nicht nur ein Ort für Naturliebhaber und Geschichtsinteressierte. Es ist auch ein Land voller lebendiger Kultur, köstlicher Küche und herzlicher Gastfreundschaft. Und auf jeden Fall eine Reise wert.
Spektakuläre Ausblicke
Nur wenige Kilometer nördlich der griechischen Grenze liegt Butrint. Das ist die größte archäologische Ausgrabung in Albanien, die Reste von griechischen, römischen und byzantinischen Bauwerken zeigt. Natürlich bleibt mein Boot an den Untiefen in der unmarkierten Zufahrt hängen, aber mit ein wenig Mühe komme ich wieder flott. Saranda ist das nächste Ziel: Ich treffe Menschen aus allen Staaten Europas – besonders junge!
Ein Strandurlaub kostet hier viel weniger als im wenige Kilometer entfernten Korfu, die Bevölkerung ist unglaublich freundlich und das Wasser sauber. Und dann geht es weiter nach Norden, eine spektakuläre Küste entlang. Innerhalb von wenigen Kilometern fallen hier die Berge von über 1.500 Metern Höhe direkt ins Meer ab.
Nur wenige kleine Orte haben Platz, dort wo der Küstenstreifen ein wenig breiter wird. Porto Palermo, Himarë, Dhërmi und dann verschwindet die Straße hinauf über einen Pass in beängstigenden Serpentinen.
Auf den restlichen zwanzig Kilometern der Karaburun-Halbinsel gibt es keine Straße, keine Siedlung, nur Landschaft mit verstreuten Bunkern. Einzelne Buchten schneiden ein wenig in die Landschaft ein. Nur dort finden sich ein paar Menschen. „Karaburun“, „schwarze Nase“ auf Türkisch – eine Bezeichnung, die aus 500 Jahren türkischer Herrschaft geblieben ist.
Flair von Orient
Abrupt endet die gebirgige Atmosphäre, das tiefblaue Wasser wechselt auf einen grünen Ton und es erwartet mich die Stadt Vlora. Ja, hier gibt es wieder Hotels, Wohnhäuser und Industrie. Fähren erschließen die Verbindung nach Italien, und eine flache, von Flüssen durchzogene Küste scheint unerreichbar weit von meiner Kurslinie entfernt, weil die vielen flachen Schwemmkegel weit in die See reichen. Vor dem Naturschutzgebiet von Karavastasë ankere ich bereits zu finsterer Nacht. Am Morgen sehe ich einen Delfin, der die nahe liegende Fischfarm geplündert hat.
Auf geht’s, nach Durrës: Die größte Hafenstadt Albaniens ist ein Sammelsurium von Muslimen, Orthodoxen, Katholiken und Atheisten. Das ist kein Wunder, denn Byzantiner, Venezianer, Osmanen und Kommunisten haben die Stadt geprägt. Aber entgegen den anderen Staaten am Balkan hat sich Albanien das gegenseitige Abschlachten der unterschiedlichen Volksgruppen erspart. Es hat ein Flair von Orient, es wird lautstark gehandelt, eine überdurchschnittlich hohe Anzahl an Mercedes-Benz aller Baujahre umgibt mich.
Die Ausfahrt aus Durrës verlangt wieder viel Aufmerksamkeit: Klippen säumen den Weg nach Nordwesten. Zwei lange Kaps reichen vom Land ins Wasser: Kepi i Bishti i Palles und Kepi i Rodonit. Ersteres ist noch immer vom Militär besetzt, Zweiteres erinnert an die Versenkung des österreichischen Lloyd-Dampfers „Linz“, bei dem an die 2.700 Menschen unweit dieser Stelle ertrunken sind.
Erinnerungen, die bleiben
So erreiche ich die nördlichste albanische Hafenstadt: Shengjin. Unmittelbar vor einer Felswand gelegen, besteht sie aus einer Hauptstraße und einer schmalen Parallele dahinter. Hotel reiht sich an Hotel, die kosovarischen Autokennzeichen der Touristen halten die Mehrheit. Noch vergammeln Fahrzeuge der ehemaligen Marine des kommunistischen Staates im Hafen, aber der Tourismus kommt in die Gänge. Das Vergnügen ist hier billig – ein Ringelspiel ist am Strand aufgebaut, und die Restaurants vermitteln eine Stimmung, wie sie die Achtzigerjahre in den oststeirischen Sommerfrischen auch gekonnt hätten.
Nach einem Abschied am frühen Morgen, der mich über die Adria nach Italien führt, bleibt eine Erinnerung an unglaublich beeindruckende Natur, freundliche Menschen und eine Geschichte, in der es noch einiges zu entdecken gibt, ehe sich „unser“ Europa darüberstülpen wird.
Zur Person
Wolfgang Siebenhandl hat Mathematik und Theologie studiert und war zwanzig Jahre lang als Lehrer tätig. Vor sechs Jahren hat der Steirer seine Leidenschaft, das Segeln, zum Beruf gemacht und zeigt Gästen die schönsten Orte an der Adria, dem ionischen Meer und der Ägäis. Segelausbildung, Vorträge und das Wissen über historische Zusammenhänge ergänzen das Angebot. www.segelnundmeer.at