© Willy Puchner
Mit Joe & Sally, zwei Kaiserpinguinen aus Kunststoff, bereiste Willy Puchner die ganze Welt. Seine Materialbücher sind kunstvolle Wunderkammern voller Eindrücke und Geschichten, die dazu anregen, die eigenen Wunderwelten zu entdecken. Für sein international anerkanntes Gesamtwerk wurde der Fotograf, Zeichner und Autor Willy Puchner mit dem Österreichischen Kunstpreis 2022 in der Sparte Kinder- und Jugendliteratur ausgezeichnet. Wir baten den gebürtigen Mistelbacher zum Gespräch.
Vier Jahre lang reiste Willy Puchner mit den Pinguinen Joe & Sally an die Orte seiner Sehnsucht, fotografierte sie am Meer und in der Wüste, in New York, Peking, Honolulu und Paris, in Venedig, Tokio, Rom und Kairo. Daraus entstand das Projekt „Die Sehnsucht der Pinguine“. Kein Kontinent ist dem Künstler seither fremd. Nachdem er mit seinen Pinguinen auf Weltreise gewesen war, machte er viele Monate in Spanien, Italien und Japan Station.
In seinen gezeichneten und handgeschriebenen „Materialbüchern“ konserviert er seine Eindrücke von der Welt, welche die Frankfurter Allgemeine Zeitung als „eine ruhelose Vermessung der Welt“ würdigte, und denen vielleicht – nach Angaben des Künstlers – auch der Wunsch, seinen eigenen Platz im Koordinatensystem des Globus zu finden, innewohnt. Mit seinen Kinderbüchern beweist Willy Puchner, dass „Bilderbücher Kunstwerke sein können, und dass sich Kinderbücher nicht an ein Alter, sondern an das Kind im Menschen richten“, so die Erklärung der Fachjury für den Kunstpreis 2022.
Herr Puchner, Sie haben nach dem Studium der Geschichte und Philosophie die Welt bereist, Bücher geschrieben, Ihre Werke weltweit in Ausstellungen präsentiert und dafür zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Was war Ihr Antrieb, so lange unterwegs zu sein?
Willy Puchner: Das ist eine wunderbare Frage, weil sie den Kern meines Daseins trifft. Mit dem Studium erlebte ich etwas, was wir später – in Zeiten der Pandemie – alle erfahren haben. Ich habe mich für viele Jahre zurückgezogen, war fast täglich auf der Universität, habe ununterbrochen gelesen, gekocht, gestrickt, Filme geschaut und mit meiner Katze gespielt. Ich war so gut wie immer zu Hause.
In meiner Diplomarbeit in Philosophie habe ich über „private Fotografie“ geschrieben, habe das Phänomen der Pose analysiert, jene Körperhaltung, die Menschen einnehmen, wenn sie für einen privaten Zweck fotografiert werden, jener Augenblick, in dem der Abgebildete in die Kamera blickt und Haltung bewahrt. Das hat mir seit meiner Kindheit gefallen. Meine Eltern führten in Mistelbach ein Porträt-Atelier. Wenn Kunden ins Fotogeschäft Puchner gekommen sind, machten sie genau das. Sie posierten, zeigten auf schöne Art und Weise ihre Würde, wurden als glückliche Menschen fotografiert, etwas, was auf den Bildern ewig andauerte.
Wie auch bei Joe & Sally?
Ja, die Pose war auch Bestandteil meines Projektes mit den Pinguinen. Was gibt es Schöneres, wenn zwei Verliebte, in meinem Fall ein Pinguin-Pärchen, miteinander um die Welt reisen, in die Kamera schauen und sagen: Schaut her, da waren wir, und da waren wir auch. Glücklich und zufrieden!Und ich war mit dabei!
Ein besonderer Fokus in Ihren Arbeiten liegt in den Bildern aus der Natur. Haben Sie den Blick für das Kleine, Unbeachtete, Verborgene?
Auf meinen vielen Reisen habe ich Tagebücher geführt. Ich nenne sie gerne auch Materialbücher. In ihnen skizzierte ich verschiedene Zugänge zum Reisen, aber auch zur Natur. Es sind nicht nur Zugänge, sondern auch Zusammenhänge und Sinneswahrnehmungen. Ich stellte mir die Frage, was denn Natur überhaupt sei, näherte mich einer anderen Welt, betrachtete Pflanzen und Tiere und schließlich mein Wesen selbst. Ich weiß nicht, wo Natur beginnt und wo sie endet. Je mehr ich mich dem Thema näherte, umso vielfältiger wurden die Motive. Kleine Dinge, Unbeachtetes, Verborgenes. Im Detail ist immer auch das Ganze enthalten. Triebfeder war das Gefühl, als wäre Natur irgendwo auf meinem Weg verloren gegangen, so als wäre ein Eiswürfel in meiner Hand geschmolzen.
Sie haben sich auch intensiv mit dem Alter auseinandergesetzt. Worauf lag bei „Liebe im Alter“ der besondere Fokus?
Beim Projekt „Liebe im Alter“ war es mir wichtig, dass der Aspekt der Umarmung stärker in den Mittelpunkt rückt. Ich wollte zeigen, wie sich alte Menschen berühren. Erleichternd für dieses Vorhaben war, dass es sich bei meinen Protagonisten um Liebespaare handelte, um Menschen, die sich kennenlernten, nachdem sie das siebzigste Lebensjahr überschritten hatten. In diesem Fall wollte ich, dass sie nicht in die Kamera blicken.
Sie sollten sich mehr oder weniger vergessen, auch mich, den Fotografen, der ihnen bei ihren Umarmungen zusieht. Ich wollte auch, dass sie – die alten Liebespaare – wissen, dass sie mit ihren Bildern etwas transportieren, was für andere Menschen wichtig sein könnte: Jemand, der alt ist, hat genauso das Recht, einen anderen Menschen zu umarmen! Das ist mit ein Grund, warum ich mich mit dieser Thematik beschäftige.
Gerade ist Ihr neuestes Buch „Ich bin …“ im Tullner Vermes Verlag erschienen. Woher kommt die Liebe zu Bilderbüchern, für die Sie mehrfach ausgezeichnet wurden?
Auf meinen ausgedehnten Reisen habe ich nicht nur meine Materialbücher gefüllt, ich habe auch viel gezeichnet, geschrieben, Geschichten gesammelt – um es pathetisch zu sagen. Ich musste unbedingt mein sogenanntes „Inneres Kind“ am Leben erhalten. Das ist etwas, was ich schon immer gemacht habe und auch noch heute liebe. In meinen Bilderbüchern habe ich die Freiheit, dass ich meiner Fantasie folgen kann. Ich kann, so wie es im Buch „Ich bin …“ der Fall ist, alle möglichen Wesen erschaffen, die für alle da sind, ob groß oder klein, wild oder scheu, fröhlich oder einsam.
In dem Buch schreibe ich unter anderem: „Ich möchte andere in mein Reich locken, staune über die Welt, halte Ausschau nach einem Freund und erkenne, dass wir so vielerlei sind.“ Das ist das Schöne an Bilderbüchern! Ich will und kann und darf fantasieren …
Sie feiern am 15. März Ihren 72. Geburtstag. Haben Sie Ihren Platz im Koordinatensystem der Welt mittlerweile gefunden? Wie steht es mit Ihrer Leidenschaft als Reisender, haben Sie noch Fernweh?
Ich wohne seit mehr als drei Jahren in einem Bauernhaus in einem kleinen Dorf. Dort habe ich mein augenblickliches Koordinatensystem – ohne große Reisen – gefunden, aber nicht nur das, auch eine neue Leidenschaft: Ich nähe für mein Leben gern. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht ein bis zwei Stunden an meiner Nähmaschine verbringe.
Zurzeit faszinieren mich Reißverschlüsse, ich nähe kleine Täschchen, erfinde mit meinen Applikationen für meine Fabelwesen neue Bilder, bin in Textilien und Posamente jeder Art verliebt, erweitere meine kleinen Wunderwelten, die auch meine Koordinaten sind. Da ich aber jemand bin, der immer wieder das Neue sucht, kann ich nicht sagen, wie es weitergeht, wohin mich mein Weg führen wird …